- 308 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Zu bedauern bleibt nur, daß dieser 6. Symphonie fünf andere vorausgehen, welche mehr oder weniger die kompositorischen Leistungen des Wiener Komponisten nicht ganz zu verdunkeln vermochten. [M06/A]

Die Ansicht, die ich nach der Essener Aufführung aussprach, daß die 6. Symphonie nicht zu den starken Schöpfungen Mahlers gehöre, daß sie namentlich nichts wesentich Neues bringe, was man aus früheren Symphonien nicht schon kannte, diese Ansicht hat sich mir auch beim wiederholten Hören bestätigt. [M06/B]

Man kennt ja längst diese wunderliche und nicht für Jeden so ohne weiteres verdauliche Verquickung von anscheinender Naivität mit äußerster Bizarrerie und Kompliziertheit zu oft grellsten Kontrastwirkungen, wenn sich auch heute noch nicht jeder darüber klar ist, ob hieraus wirklich immer ein inneres Müssen und Nichtanderskönnen oder nur raffinierteste Absicht und das Streben nach einer gewissen Originalität um jeden Preis spricht, oder aber von beiden etwas. Man kennt längst auch Mahlers besonderes Behagen an heterogensten Stimmungsmomenten, an Klangwirkungen von oft eruptiver Gewalt, seine Lust, die Ausdruckscharakteristik, absichtlich mitunter bis zum Zerrbild zu treiben oder sein Orchester mit raffiniertesten Klangeffekten auszustaffieren, in welch letzteren beiden Dingen man ja auch seine originellsten Seiten erblicken mag, mit denen er zum Teil selbst einzig unter seinen musikalischen Zeitgenossen steht. Von allem findet sich ja auch in der neuesten Symphonie Mahlers hinreichend Proben. Aber schließlich kommt doch immer das nämliche Gesamtergebnis dabei heraus, oder, was noch schlimmer, ein blasseres Abbild der früheren und der ganzen Manier. Das trifft im vorliegenden Fall zum Teil schon in recht bedenklichem Grade zu. [. . . ] Von den unbestreitbar mächtigen und auch eigenartigen Wirkungen seiner C-moll-Symphonie bis zu diesem jüngsten Opus hat sich der Weg Mahlers, des Schaffenden, jedenfalls stark abwärts gewendet, aber dennoch nicht in die Tiefe. [M06/C]

Das Herz tut einem weh, sieht man den Schöpfer der herrlichen C-moll-Symphonie (II.), der tiefsinnigen und schönen vierten Symphonie auf solchen Wegen wandeln, auf labyrinthartigen Irrwegen, zu denen schon die fünfte Symphonie deutlich hinführte, und aus denen der Künstler allem Anschein nach so bald nicht wieder herauskommen wird. [M06/H]

Immer allgemeine scheint doch, nach gewiß nicht oberflächlicher Erwägung des Für und Wider bei jedem neuen Mahlerschen Werke, die Erkenntnis Platz greifen zu wollen, daß seine Manier eben – Manier ist, und daß sich ihre Hervorbringungen heute, trotz des enormen technischen Könnens, stark in der Dekadenz befinden. Diese Empfindung konnten viele schlechterdings nicht loswerden. Das bewußte Trachten Mahlers nach bisher nicht dagewesenen Effekten und Effektmitteln, eben um des bloßen Effektes Willen, tritt allgemach doch immer unverhüllter hervor, fördert aber doch im Grunde immer das nämliche Gesamtergebnis oder, noch schlimmer, immer blasser wirkende Abbilder des früheren zutage. [M06/I]

Im ersten Satz stehen sich die Schwächen und das technische Raffinement Mahlers ungefähr noch in dem gleichen Verhältnis gegenüber wie in seinen früheren Werken [W07/C]

Gleich ohrenmörderisch hat der geniale Klangwüterich bisher noch nie gewaltet, und das will etwas sagen. Auch die weitere Bemerkung wage ich, daß in einigen Partien des weitschweifigen Finales eine Seichtigkeit der Eloquenz, eine hohle Phrasenhaftigkeit zu verspüren ist, die sonst dem Wesen des tiefgreifenden Schaffens dieses ernsten Künstlers fremd sind. [W07/D]

Er componirt noch immer, wie er vom Anfang an componirt hat. [. . . ] So ging ich den gestern betrübt und beschwert von dannen, betrübter als sonst, wen eine Mahler-Symphonie auf dem Programm stand. Die Sechste hat die Fehler des ganzen Systems: die Leere vor allem. So sah ich Walvater noch nie. . . [W07/E]

Die Sechste Symphonie steht zweifellos in der Erfindung zurück hinter den früheren [W07/F]

Im ganzen kann man sagen, daß die neue Symphonie in der Geschlossenheit des symphonischen Aufbaues die vorangegangenen übertrifft, aber leider auch deren Realismen, die nervenaufwühlenden Spannungen steigert. Auch scheint sie uns in der Mannigfaltigkeit und Frische der Erfindung hinter den letztgehörten Werken, der dritten und fünften Symphonie, zurückzustehen. [W07/H]

Aber gerade bei dieser gesuchten Einfachheit kommt es mehr noch als bei einem der früheren Werke heraus, wie gering die Erfindungsgabe ist [. . . ] Diese scheinbar stärkste Steigerung des tondichterischen Wesens ist zugleich der schwächste Sinfoniesatz, den Mahler geschrieben [bzgl. Finale] [W07/L]


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