- 301 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Damit soll durchaus nicht geleugnet werden, daß sich in Einzelheiten der thematischen, der melodischen Erfindung sehr Schönes [. . . ] findet [M06/J]

Athrophie thematischer Erfindung [W07/A]

Es hätte keinen Sinn, über das technische Material mit dem Künstler zu streiten. [. . . ] Gerade dieses unbekümmerte Drauflosarbeiten, das den Teufel nach Freund oder Feind fragt, gerade diese Sorglosigkeit in der Erfindung mancher Themen, auf die es ihm vielleicht diesmal in der Hauptsache nicht besonders ankam, das Verrücken des Schwerpunktes der Symphonie vom Thematischen ins Klangliche, zeugen für die unerschütterliche Ehrlichkeit seines Schaffens. [W07/B]

Mahler handelt seine Themen in den unvermeidlichen grotesken Marschrhythmen ab, die angeblich tragisch gemeint sind, jedoch tragikomisch wirken, in die auch ein – merkwürdig genug – Bruckner nachgebildeter Choral eingeflochten wird. Einige, allerdings seichte und fast absichtlich triviale, aber doch plastisch verwendbare, Themen treten auf, ihre Ausbildung und Durchführung erscheint aber nicht, [. . . ] aber er [der 2. Satz] zeigt nur eine Variation der Ideendürftigkeit Mahlers, die Schwäche seiner thematischen Arbeitskraft. Das erste Hauptthema ist nicht mehr als ein chromatisch modernisierter Diabelli mit einigen salontirolschen Anklängen. [W07/C]

Das liegt an den Themen, die alle ein conturirtes Gesicht haben, hinter denen eine Maschinerie steckt. Sie haben kein eigenes Leben, sie fallen um, wenn man sie aus der orchestralen Umgebung loslöst. Und kann ein feineres Ohr die zahlreichen Banalitäten überhören, die dort und da aus dem redseligen Gewoge hervorstechen, diese matten Einfälle, die fast operettenhaft über tiefgründigen Gefilden flattern? [W07/E]

aber sie scheint uns noch in einem wesentlichen Punkte eine Stärke Mahlers zu verleugnen: Sie betont das »Thematische«, stellt das »Melodische« zurück. Es charakterisiert sonst die Erscheinung Mahlers, dass er, oft in einer fast naiven Weise, der instinktiven Sehnsucht der Zeit nach dem Melodischen Ausdruck gibt. Er befruchtet sich allerdings an der volkstümlichen Weise, wie sie sich heute mehr in den Strassen der Grosstadt [sic] als auf den Bergen und in den Wäldern bildet, aber der Zug zum Melodischen ist da und verrät oft eine persönlichen Note. [W07/F]

Namentlich ist mit, was Dr. Daffner [M06/E] über die allzubillig eklektische Erfindung in Mahler’s neuestem Werk im Allgemeinen [. . . ] sagt, aus der Seele gesprochen. [W07/G]

Der erste Hauptgedanke [des 4. Satzes] entbehrt nicht der Vorzüge der Themenbildung Mahlers, kräftiger Diatonik, breiter Entfaltung, schwundvoller rhythmischer Gebärde; die übrigen Themen aber zeigen, oft anklingend oder anspielend, kein eigentlich neues Gesicht, nehmen gleichsam nur die Mahlersche Mimik an. [W07/H]

wie unbedeutend, ja banal diese Themen sind [W07/L]

Wenn er nichts anderes als dürftige, nichtssagende Themen findet [. . . ] Denn fielen ihm andere Themen ein, so würde er mit diesen nicht zurückhalten [. . . ] Und welch geringer Vorrat von Gedanken wird auf diese Art [mit Dynamik- und Temponuancierungen] unaufhörlich auseinandergezogen und zusammengedrängt! Auch hier treibt innere Nötigung den unablässigen Wechsel hervor, denn die gehaltlosen, banalen Themen wollen sich sinfonisch gebärden. Wer würde sie beachten, wenn sie natürlich erschienen. Nehmen wir das Andante der Sechsten vor! Das Thema möchte man einem Salonstück oder einer Sonatine von Fritz Spindler op. 389 (oder sonst einer Nummer in der Region der Massenproduktion) zuschreiben, wenn in der Es-Dur ein Nötlein nicht von f auf fes und eines von g auf ges herabgerutscht wäre. So aber macht die Trivialität, plötzlich zuckend, eine interessante Miene, und wir werden auf eine Individualität gewiesen. Das eigentlich Schöpferische in der Mahlerschen Natur, wenn wir vom Schlagwerk absehen wollen, beruht in jenem fes oder ges. Was dann folgt, verliert sich in zusammenhanglosem Formelkram. Alles materielle Klangwesen in diesem Satze ist technisch vollkommen und hält sich auf der Höhe der modernen Kapellmeisterkultur. So ist das kleine, in das Andante fleißig eingestreute Sexten- und später Quartenmotiv eine ganz gewöhnliche, unbedeutende Redefloskel, die tausendmal gehört wurde. In einer Redewürde jenes Motiv etwa dem Worte »Hochverehrte!« entsprechen. Durch eine Sechzehntelpause aber gespalten, wird das Motiv sofort interessant, als ob einer in seiner Rede beständig »Hochverehrte!« sagen wollte. Diesmal also liegt die schöpferische Idee Mahlers wieder nur in einer Sechzehntelpause. . . Ähnlich im Trio des Scherzo, überschrieben »Altväterisch, grazioso, bedächtig«, demnach eine kleine Einrichtung im Biedermeierstil für die tragische Sinfonie. Den dreiteiligen Großvätertanz durchdringt nun Gustav Mahler durch vierteilige Takte. Als unsere Altväter durchs Leben gingen, haben sie doch nicht beständig ein siebentes Achtel

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