- 291 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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bezügliche Vorstellungen erweckt werden. Das ganz Werk erscheint mir – ich will damit beileibe kein Programm geben – höchst subjektiv, gewissermaßen als ein auf der Gegensätzlichkeit zwischen dem Frieden der Natur und dem Dämon des Künstlers beruhendes musikalisches Bekenntnis, um so mehr, als auf mich die persönliche Erscheinung Mahlers von jeher als die eines menschgewordenen Dämons, etwa in der Art des genialen E. T. A. Hoffmannschen Kreisler gewirkt hat. [M06/G]
Mahler hat es nicht für nötig erachtet, ein Programm beizugeben; und selbst in der Programmusik wären die verwendeten Mittel kaum möglich. [. . . ] Und als absolute Musik, als die der Komponist sein Werk ausgibt, muß man es aufs allerbestimmteste ablehnen. Was uns rein musikalisch gesagt wird, ist nicht zwingend genug, uns bestimmte Gedankem zu suggerieren (was auch niemals Aufgabe der absoluten Musik sein kann); und daß an sich die verwendeten Lärminstrumente etwas in der absoluten Musik zu tun oder zu sagen hätten, wird niemand behaupten wollen, wie sie denn alle heißen, Xylophon, Rute, Hammer, Herdenglocken usw. Daß sie bei uns bestimmte Ideenassoziationen, ob wir wollen oder nicht, hervorrufen, ist sicher; aber ob es immer gerade die vom Komponisten wohl gewünschten sind, ist mir – vorab bei den Herdenglocken! – mehr als zweifelhaft. Und auch im übrigen ist diese Musik weit mehr eine unmotiviert in den Konzertsaal übertragene Opernmusik, denn eine Symphoniemusik. [M06/J]

Mahler perhorresziert leidenschaftlich die programmatische Auffassung der Musik: damit steht er, der Schüler Bruckners, dem Herzen des echten Musikers näher als der Schüler Liszt-Berlioz’. Füglich aber passiert es so selten, daß man Mahlers sinfonische Musik singen hört, da sie fast stets reden will; glänzende rhetorische Phrasen reihen sich an witzige an, nachdenkliche an triviale, aber woher Mahler die Berechtigung ableitet, gegen die Programmusiker sich zu ereifern, da seine Musik zwar keine Geschichten erzählen, (oho! s. das Programm zur 3. Sinfonie! D. Red.) aber ebensowenig die Aufgabe der Musik erfüllen will, die da ist: Stimmungen zu erwecken, festzuhalten, zu steigern, abzuklingen, ferner zu begeistern, zu erfreuen, zu verinnerlichen – bleibt ein Problem. [. . . ] In seiner »Sechsten« verwendet er an mehreren Stellen der beiden Ecksätze ausgiebig »Heerdenglocken«, größere und kleinere, die außerhalb des Konzertsaales gespielt, nur herein klingen sollen. Kein Mensch der weiten Erde wird sich hierbei gewisser landschaftlicher Stimmungen erwehren können, umsomehr, als an einigen Stellen »ganz aus der Ferne« tiefes Glockengeläute hinzutritt. In der großen Partitur bemerkt aber Mahler in einer Fußnote ganz ausdrücklich, daß Heerdenglocken wie Glockengeläute »ja nicht programmatisch« zu nehmen seien. Also, als reiner Klangreiz! Nun kristallisiert Mahler auf diese Weise sicherlich wunderlich eigenartige Gebilde, die aber zweifellos nicht weniger eine Benutzung musikalischer Ausdrucksmittel zu außermusikalischen Zwecken vorstellen, wie die von ihm bekämpfte Programmusik! [W07/A]

Was für ein Stück Erleben oder Jugenderinnerung dahintersteckt [1. Satz], ist gleichgiltig, sicher ist nur, daß eines hinter diesen Tönen zu finden wäre. Doch man soll in der Musik nichts als Musik suchen, und in der Symphonie nicht den Menschen Mahler, sondern den Musiker Mahler erkennen und werten. [W07/B]

Gustav Mahler hat seiner sechsten Symphonie den Titel »Die Tragische« gegeben. Musikprogrammatisch bedeutet diese Bezeichnung nicht mehr als eine paradoxe Vexation, jedoch auf das resümierende Kriterium aller Eindrücke bezogen, die das Werk erweckt, erscheint sie wohl als völlig zutreffend. [. . . ] da Mahler bekanntlich als Komponist der Programmusik offiziell abgeschworen hat [W07/C]

Namentlich der Zusammensetzung von Celesta [. . . ] und Herdenglocken, die nie programmatisch, sondern nur als Klangnuance in Betracht kommen, gewinnt Mahler oft berückende Wirkungen ab. [W07/H]

Besteht Mahler auf der Tragik seiner Symphonie, die, sie mag die klassische Form respektieren, so weit sie will und kann, doch ohne das verhaßte Programm nicht auskommt – gut, so muß er sich gefallen lassen, daß irgend ein belesener Interpret den rasenden Ajax zu ihrem Helden proklamiere. [W07/J]

So viel sickert aus dem Programme, das dieser Sinfonie wie einer jeden Mahlerschen zugrunde liegt, aber geflissentlich verschwiegen wird, daß diese Sinfonie und besonders das Finale »tragisch« sein sollen und daß die dröhnenden Hammerschläge die Schicksalsschläge bedeuten. [W07/L]

Sie heißt die tragische. Nicht ohne Grund ist diese Bezeichnung, die in der Partitur fehlt, auf dem Programm gedruckt gewesen, denn es ist zweifelhaft, ob das Publikum beim ersten Anhören den

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