- 29 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Abende eines glorreichen Sieges gewöhnt hat? [...]
Für töricht muß es dagegen erkannt werden, durch noch so sorgsame Vorkehrungen der Gewalt die Gewalt aufhalten zu können. Auch jener Weltfrieden beruhte nur auf dem Rechte des Stärkeren, und nie hat das menschliche Geschlecht, seitdem es zuerst dem Hunger nach blutiger Rache verfallen, aufgehört durch jenes Recht sich einzig zu Besitz und Genuß für befugt zu halten. Dem kunstschöpferischen Griechen galt es, nicht minder als dem rohesten Barbaren, für das einzige weltgestaltende Gesetz: es gibt keine Blutschuld, die nicht auch dieses schön gestaltende Volk in zerfleischendem Hasse auf seinen Nächsten sich auflud; bis dann der Stärkere abermals dem Gewaltsameren unterlag, und so Jahrhunderte auf Jahrhunderte, stets neue rohere Kräfte in das Spiel führend, uns heute endlich zu unserem Schutze hinter alljährlich sich vergrößernde Riesenkanonen und Panzermauern geworfen haben. [...]
Leider hat dieser friedliche Anschein das Schlimme, daß keiner dem anderen traut, da das Recht der Gewalt einzig im Gewissen aller lebendig ist, und jeder Verkehr der Völker unter sich nur durch Politiker geleitet zu werden für möglich gehalten wird, welche wachsam die von Machiavell aufgezeichnete Lehre befolgen: ›was du nicht willst, daß er dir tu’, das füge deinem Nächsten zu‹. So müssen wir es auch diesem staatserhaltenden Gedanken für entsprechend ansehen, daß unsere leiblich ihn darstellenden höchsten Herren, wenn es für bedeutende Manifestationen sich im fürstlichen Schmuck zu zeigen gilt, hierfür die Militäruniform anlegen, so übel und würdelos sie, endlich einzig für praktische Zwecke hergerichtet, die Gestalten kleiden möge [...].«54
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Wagner, ebd. S. 225, 227, 229f, 234.

Wagner empfiehlt zur Regeneration der Menschheit eine Vereinigung der Vegetarianer, Tierschützer und »Mäßigkeitspfleger« mit dem Sozialismus. Er unterzieht Friedrich den Großen seiner Kritik55

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Wagner, ebd. S. 252.
und stellt »unseren berühmten Schlachtendenker« und »unseren General-Feldmarschall« an den Pranger – womit wohl von Moltke gemeint sein dürfte – indem er dessen Umgang mit den von Wagner positiv beurteilten Friedensvereinen kritisiert. In einem Nachtrag unter dem Titel Was nützt diese Erkenntnis?, erschienen in den Bayreuther Blättern 1881, vergleicht er Bismarck, wie er der Vermehrung seiner Machtmittel nachspürt, mit Robespierre im Wohlfahrtsausschuß; er verurteilt den »freventlich heraufbeschworenen furchtbaren Krieg« mit Frankreich 1870/71 und vor allem den Friedensschluß, der geradezu zu neuer Kriegsbereitheit anleite56
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Wagner, ebd., S. 255. Interessant zu lesen ist, wie etwa Paul Moos in seiner Schrift »Wagner als Ästhetiker« (Berlin und Leipzig 1906, S. 458ff) Bismarck und Moltke gegenüber Wagner zu verteidigen sucht.
. Wagner scheint also hier von seinem Enthusiasmus für das Deutsche Reich, dem er 1870/71 noch in Wortdichtungen und in seinem Kaisermarsch Ausdruck verliehen hatte, abgerückt zu sein57
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Vgl. Richard-Wagner-Handbuch, hg. v. Ulrich Müller und Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 626ff.
. Mahler war Wagner in diesen Jahren um 1880 begeistert zugeneigt. Der Bayreuther Meister stand im Zentrum der Diskussionen in Mahlers Freundeskreis, wo er als »sozialistischer Zukunftsmusiker«58
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Max Ermers, Victor Adler, Wien 1932, S. 236.
galt. Für den Sommer 1880 schlug er seinem Freund

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