- 28 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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bald aus unbekannten Gründen gemeinsam mit seinen Freunden Hans Rott, Anton Krisper und Rudolf Krzyzanowsky wieder austrat. Der Freundeskreis hatte sich außerordentlich dem Vegetarismus als einem »die Völker versöhnenden, auf eine bessere Zukunft hinweisenden Friedensideal zugewandt«49
49
Friedrich Eckstein, »Alte unnennbare Tage«, Wien-Leipzig-Zürich 1936, S. 106.
. Angeregt wurde er darin von Wagners später Schrift Religion und Kunst, die im Oktober-Heft der Bayreuther Blätter 1880 erschien und in diesem Kreis sofort gelesen und diskutiert wurde. Mahler bekennt sich in einem Brief vom 1. November 1880 an Emil Freund als »seit einem Monat vollkommener Vegetarianer«50
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Vgl. die Dokumente in Blaukopf, Dokumente, S. 159f.
. Auch für die Folgejahre ist diese »unblutige Ernährungsweise«, wie der hier berichtende Friedrich Eckstein sie nennt, für Mahler belegbar51
51
Blaukopf, Dokumente, ebd. und ff., auch La Grange I, S. 146.
. Er muß die Schrift Wagners selbst gekannt haben, worauf eine Formulierung in jenem Brief an Emil Freund deutlich hinweist. Er spricht darin von einer durch diese Lebensweise erfolgenden »Regeneration des Menschengeschlechts«52
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Mahler, Briefe, S. 18.
, was eine wörtliche Übernahme eines zentralen Begriffs der Wagnerschen Schrift ist53
53
Richard Wagner, Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 10, Leipzig 1888, S. 211–253, bes. 239ff.
. Die Zivilisationskritik, die Wagner in dieser Schrift äußert, richtet sich aber auch ganz deutlich gegen Kriegstreiberei und Hochrüstung, die er vor allem im preußisch-deutschen Reich ausmachte. Im gleichen Atemzug mit der Verurteilung von Fleischesnahrung – der sich Mahler tätig anschloß – nennt er die kriegerische Eroberungsmentalität der Menschheit und geißelt schließlich die Militarisierung der Politik. Und man müßte im Verfasser dieser Schrift einen Pazifisten erkennen, wären seine Ausführungen gegen den Krieg nicht an manchen Stellen mit Antisemitismus gepaart.

»Gehen wir dagegen den Erfolgen des geschichtlich sich dokumentierenden Menschengeschlechtes jetzt etwas näher nach, so können wir nicht umhin, die jammervolle Gebrechlichkeit desselben uns nur aus einem Wahne zu erklären, in welchem etwa das reißende Tier befangen sein muß, wenn es sich, endlich selbst nicht mehr vom Hunger dazu getrieben, sondern aus bloßer Freude an seiner wütenden Kraft, auf Beute stürzt. Wenn die Physiologen noch darüber uneinig sind, ob der Mensch von der Natur ausschließlich auf Frucht-Nahrung oder auf Fleisch-Atzung angewiesen sei, so zeigt uns die Geschichte, von ihrem ersten Aufdämmern an, den Menschen bereits als in stetem Fortschritt sich ausbildendes Raubtier. Dieser erobert die Länder, unterjocht die frucht-genährten Geschlechter, gründet durch Unterjochung anderer Unterjocher große Reiche, bildet Staaten und richtet Zivilisationen ein, um seinen Raub in Ruhe zu genießen. [...]
Denn immer tiefer verfallend, scheinen Blut und Leichen die einzig würdige Nahrung für den Welteroberer zu werden: das Mahl des Thyestes wäre bei den Indern unmöglich gewesen: mit solchen entsetzlichen Bildern konnte jedoch die menschliche Einbildungskraft spielen, seitdem ihr Tier- und Menschenmord geläufig geworden war. Und sollte die Phantasie der zivilisierten modernen Menschen mit Abscheu vor solchen Bildern sich abwenden dürfen, wenn sie sich an den Anblick eines Pariser Schlachthauses in seiner frühen Morgenbeschäftigung, vielleicht auch eines kriegerischen Schlachtfeldes am


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