- 277 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Soll man ihm die polternde Lust nicht gönnen? Sein Geschmack und sein phantastischer Sinn finden die Wirkung stets an richtiger Stelle und speziell die Celesta hat er mustergiltig für Zwecke eines verklärten, übersinnlichen Klanges verwertet. [W07/D]

Mahler’s Orchester hat keinen feinen, keinen gütigen Klang. Das Grelle, Abrupte, Aufpeitschende überwiegt und nimmt die Aeußerlichkeiten für sich ein: die Menge. [. . . ] bei allem Fortschritt der Klangtechnik, der Farben [W07/E]

Nicht minder freilich [aus dem Herzen gesprochen ist mir] auch seine [Dr. Daffners, M06/E] rückhaltlose Bewunderung der grandiosen Orchestertechnik – durch welche auch wirklich alles »klingt«, es nirgendwo tote Punkte in der Instrumentation gibt. [. . . ] Viel greller [als der Hammerschlag] wirkte, dass der Beckenschläger bei jedem fortissimo mit seinem Instrument immer wie aus einer Versenkung emporschnellen und dann sofort wieder verschwinden musste, eine gar zu äusserlich theatralische Übertreibung des Effektes, wie auch sonst so manches in diesem angeblich tragischen Werke. [W07/G]

Im ersten Satze finden sich [. . . ] überraschende neue Eingebungen auf dem Gebiete des Klanges. [2. Teil:] das Schlagzeug ist in einer bisher nicht erhörten Vollständigkeit herangezogen, ein organisierter Einbruch rhythmischer Geräusche in die Symphonie. [. . . ] Uns ist kein Symphoniesatz Mahlers bekannt, in dem dieser Meister und souveräne Beherrscher des modernen Orchesters so wenig auf Licht und Schatten bedacht gewesen wäre wie im Finale seiner A-moll-Symphonie. Katastrophen können sich gewiß nicht in den Flöten abspielen; aber so beharrliche Mitwirkung des Blechkorps an Schmerz und Verzweiflung wirkt selbst katastrophal. Es gehört mit zu den neuen Instrumentationsprinzipien Mahlers, weniger auf Verschmelzung der Klangelemente als auf ein realistisches Nebeneinander auszugehen. Das erzeugt die grelle Farbe, eine beabsichtigte koloristische Eigentümlichkeit seiner Orchestrierung. Man kann bei Mahler nicht bloß von Dissonanzen der Harmonie und Stimmführung, sondern auch von instrumentalen Dissonanzen sprechen. Keine sparsame Würze in seiner neuen Symphonie, breiten sie sich allzu reich aus in diesem letzten Satze. Dagegen erscheint gerade die neueingeführte Instrumentalgruppe, das Schlagwerk, mit einem gewissen Maß behandelt. Es sind alle erdenklichen Angehörigen dieser geräuschvollen Familie, herangezogen, jene brutalsten, wie die sanftmütigsten Charakters. Mahler verwendet außer Pauken, großer und kleiner Trommel, Becken, Tamtam, Triangel, auch Tamburin, Glockenspiel Xylophon, Herdenglocken, tiefes Glockengeläute, Holzklapper, Rute, Hammer und Celesta. Was würde [1 Wort unleserlich] dazu sagen, der vom »unsymphonischen Gebrauch« des Triangels in Schumanns B-dur-Symphonie spricht. Aber das moderne Symphonieorchester ist unersättlich, und man kann ihm, dem blechgepanzerten, auch diese neuerliche Vermehrung nicht prinzipiell versagen. Die Anwendung einzelner jener Instrumente ist, vorbildlos, ganz Mahlers bewunderungswürdiger Klangphantasie entsprungen. Namentlich der Zusammensetzung von Celesta, dem mit Charpentiers »Luise« nach Wien gelangten Stahlklavier und Herdenglocken, die nie programmatisch, sondern nur als Klangnuance in Betracht kommen, gewinnt Mahler oft berückende Wirkungen ab. Er führt uns da wirklich auf Bergeshöhen und in himmlische Gefilde. Daneben gähnen freilich Abgründe und Höllenschlünde. [W07/H]

Man tut Unrecht, dem Sinfoniker Mahler die Herdenglocken, den Hammer, die Holzstäbchen, die an den Trommelrand schlagen, die Ruten, all das sonderbare Schlagwerk vorzuhalten. Es sind künstlerische Notwendigkeiten, die zu seinem innersten Wesen gehören. Man glaube nicht, daß der Tonsetzer Gustav Mahler durch seltsame Klänge und Schlager nur verblüffen will. Nein, er steht unter einem künstlerischen Zwang. Wenn er nichts anderes als dürftige, nichtssagende Themen findet [. . . ], so kann er schließlich nur mit Trommeln und Ruten noch neue Wirkungen erzielen. [. . . ] Die Spieler oder Schläger [des Schlagzeugs] stehen nun bei der Aufführung wie Oratoriensänger jedesmal auf, wenn sie einzugreifen haben, und setzen sich dann wieder. Mit dieser Bewegung soll die Wichtigkeit des Schlagorchesters markiert werden. Dazu die Blasinstrumente in zumeist unerreichbaren Lagen, so daß der Klangcharakter, dem Pfiff oder dem Gicksen nahe, nicht mehr unterschieden werden kann! Die acht Hörner und sechs Trompeten in Sprüngen von anderthalb Oktaven! Oder die Tempobezeichnungen und dynamischen Vorschriften innerhalb einer geringen Anzahl von Takten: Fließender, etwas hervortretend, deutlich beginnend, gänzlich verklingend, am Griffbrett, etwas fließender (aber immer vier Viertel), grazioso, noch etwas bewegter, aber immer noch vier Viertel, Halbe (nicht eilen), pesante, aber Halbe, nicht schleppen, vorwärts. [W07/M]

Der Phantasie ist der breiteste Spielraum gelassen, doch wird sie durch ausgiebige Verwendung von Schlagwerken aller Art, durch noch nie dagewesene Anwendung tonloser Geräusche, wie Hammer,

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