- 261 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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die für die vorliegende Untersuchung allein relevant ist, unterscheidet Danuser idealtypisch drei Arten: »Erstens die Interpretation als einen Verstehensvorgang der internen Sinnzusammenhänge von Musikwerken, ein Deuten struktureller Beziehungen auf der Ebene der musikalischen Sinnstiftung. Auf autonomieästhetischer Grundlage stellt hier die Kategorie der musikalischen Form den Zielpunkt der Verstehensbemühung dar, weil in ihr und durch sie der Kunstcharakter musikalischer Werke – als komplexe Phänomene, die eine interpretatorische Anstrengung überhaupt erst erforderlich und lohnend machen – definiert erscheint. Einem großen Teil der Beiträge in der zweibändigen Publikation Beethoven. Interpretationen seiner Werke (A. Riethmüller u.a. 1994) zum Beispiel liegt dieser intrinsische Ansatz zugrunde. Bei einem zweiten, extrinsischen Typus steht dagegen ein inhaltsästhetischer Zugang im Blick, der den Interpretationsbegriff auf die Deutung werkimmanenter Gegebenheiten aus externen Fakten – meist solchen der Komponistenbiographie oder des geistig-kulturellen Horizontes eines Werkes – bezieht. Als Beispiel hierfür sei auf die Publikationen von Constantin Floros verwiesen, etwa auf sein dreibändiges Werk zu Gustav Mahler, wobei hier der Begriff Exegese gewählt ist (C. Floros 1977/1985). Den dritten Typus stellt der referentielle bzw. semiotische Interpretationsbegriff der Musikhistoriographie und Musikbiographik dar. Mit ihm werden die Gegenstände der Musikgeschichte als erklärungsbedürftige Fakten und Probleme entwickelt, so daß hier – in Parallele zum Interpretationsbegriff in der allgemeinen Historiographie – ein weites Feld der kontextuellen Deutung von Werken, Künstlern, Institutionen im Rahmen gesellschaftlich kultureller Konventionen und Codes – wie z.B. das Verdis Aida gewidmete Kapitel in Edward W. Saids Buch Culture and Imperialism (E. W. Said 1994, S. 111–132) – in den Blick rückt.«4
4
Ebd.

Die hier in Rede stehende Interpretationskonstante gehört dem zweiten, noch mehr aber dem dritten Typus an. Der zweite Typus ist in der Rückführung der Untergangsvision auf Mahlers Judentum und auf seine antisemitischen Erfahrungen vertreten. Der dritte Typus zeigt sich darin, daß die Untergangsvision als Kennzeichen der Krisenzeit vor dem Ersten Weltkrieg verstanden wird, ähnlich wie E. W. Said in Verdis Aida Züge der imperialistischen Haltung Europas gegenüber den Kolonialländern erkennt.

Weiter heißt es in dem MGG-Artikel: »Interpretation erscheint erst dann möglich, wenn ein Akt der Deutung oder Realisierung nicht länger nur nach den Kriterien richtig oder falsch, vollständig oder lückenhaft, gelungen oder mißraten bewertbar ist, sondern es vielmehr von vornherein feststeht, daß jede Interpretation nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt und eine endgültig erschöpfende Deutung eines Werkes der Kategorie des Kunstwerks zuinnerst widerspricht. Im 20. Jahrhundert hat sich die Einsicht mehr und mehr durchgesetzt, daß frühere Interpretationen eines Werkes nicht einfach mit dem Hinweis auf eine überwundene Stufe auf dem Wege zur Vervollkommnung beiseite geschoben


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