- 229 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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»Wie Herr Mahler ins Maßlose weiterschreitet, wie er versucht, das Publikum über Zeit und Raum hinauszuführen, wer denkt nicht dabei an den »Brand« von Ibsen19
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»Brand ist ein Glaubensfanatiker, der im Namen des Gekreuzigten alle Halbheiten und Kompromisse verachtet. Er opfert Mutter, Frau, Kind und die Kirche seinen idealen Forderungen und versucht vergeblich, das Volk seiner radikalen Ethik zu unterwerfen. Im Hochgebirge wird er von einer Lawine verschüttet.« (Georg Hensel, Spielplan, München 21992, S. 608).
! Aber der Direktor des Wiener Opernhauses möge sich hüten, daß er schließlich nicht oben auf den Höhen einsam und verlassen steht und – von seinen eigenen Massen lawinenartig verschüttet wird!« [E06/X]

»Wenn je ein Werk hypermoderner Eingebungen unentwirrbare Rätsel aufgibt, so ist es wohl die VI. Symphonie von Gustav Mahler [...] Alles ist möglich, nichts für die Zukunft bestimmend vorauszusagen, nur das eine steht fest, daß wir dann statt der Gesundung, die in der Reinheit der Atmosphären, in der Entlastung unserer Nervenzentren liegt, dem Verfall entgegengehen, den uns eine krankhafte Begierde nach unnatürlichen Dingen bereitet. Krankhaft ist auch der Zug, der durch diese Symphonie Mahlers geht.« [B06/L]

»Bei Mahler aber erscheint sogar die tragische Schuld an Stelle des Geschickes: denn die Sucht nach dem Ruhm des Genies drängt den Komponisten nach einem Ausweg, der über die Grenzen der Wahrheit gegen die Kunst und sich selbst weit hinausführte, und endlich dem Abgrunde der Kunstlüge zutreiben mußte. Die neue Simphonie [sic] ist der katastrophale Untergang Mahlers in diesem Abgrund.« [W07/C]

»Auch sie [die tragische Stimmung] würde sich mit einer Grundstimmung der klassischen Symphonie seit Beethoven begegnen, nur daß das Ringen mit dem Schicksal, mit den dunkeln Mächten des Lebens, die allerdings bei Mahler geradenwegs zu diabolischen werden, nicht zum Siege, sondern zum Untergang führt. Der Held fällt unter den Hammerschlägen des Geschickes, und man hört sie. [...] Er führt uns da wirklich auf Bergeshöhen und in himmlische Gefilde. Daneben gähnen freilich Abgründe und Höllenschlünde. [...] Vorher hat sich schon in den Trompeten jenes harmonische Motiv gemeldet, das, offenbar eine Symbolisierung des tragischen Helden, durch die ganze Symphonie geht: ein schmetternder Durdreiklang, der kraftlos, wie vernichtet, in den Molldreiklang zurücksinkt. Wir versuchen keine Deutungen dieses Hamlet-Gedankens [...] Und da steht nun der merkwürdige kleine, schmächtige Mann [...] und bewirft uns bald mit Blumen, bald mit Feuerbränden und Felsblöcken. [...]« [W07/H]

In diesem umfangreicheren Auszug aus der Wiener Kritik von Julius Korngold, die zu den ausführlichsten und inhaltsreichsten gehört, berührt sich die Idee des Untergangs mit der Wahrnehmung von Zerstörung in verschiedener Weise. Einige dieser Konnotationen sind schon angeklungen, so etwa der Bezug zum Erdbeben oder der »ohrenmörderische« Lärm. Die folgenden kurzen Auszüge bringen die Vielfalt dessen, wo Zerstörerisches wahrgenommen wurde, zum Ausdruck: im programmatischen und ästhetischen Bereich, aber auch in der Harmonik und Satztechnik. Die beiden letzten Auszüge erweisen sich wiederum als Kennzeichen des Nicht-Verstehens. »der seinem Schicksal trotzende und von ihm doch erreichte und zermalmte Mensch, den Mahler in Tönen hat schildern wollen« [B06/M]


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