- 228 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Kategorie Lärm lassen sich im Grunde als Dokumente des Nicht-Verstehens lesen. Die Rezensenten verweigern es, die Symphonie als Kunstwerk anzusehen, dem man mit Ernst und Offenheit begegnet. Es ist die Verdammung neuer Musik, deren veränderter Klangsprache man nur mit Befremden gegenüber steht. Mit der Sprache der Rezeptionsästhetik kann man sagen, daß einem Erwartungshorizont, der sich an der Tonsprache der Symphonien von Brahms oder Bruckner orientiert, nicht entsprochen worden ist.

Im vorletzten Zitat ist die Wahrnehmung des Lärms verbunden mit dem Epitheton »brutal«. Auch im Zusammenhang mit dem Charakter des Marsches war dieser Begriff gefallen [M06/A]. In weiteren Rezensionen heißt es ähnlich: »Die brutalsten Partien sind Mahlers ureigendstes Besitztum und sie lehren uns, daß Musik auch häßlich, sogar sehr häßlich sein kann.« [E06/F]

»die 6. Symphonie mit ihrem brutalen Heidenlärm« [E06/W]

»Wird diese Art, für Orchester zu schreiben, Sitte, dann ist es Spielern wie Hörern bald um den letzten Rest von Feinfühligkeit und Delikatesse geschehen, und wir steuern einer Epoche brutaler Massenwirkungen entgegen.« [E06/J]

»wenn der Tonsetzer kraftvoll und grossartig werden will, wird er roh und brutal.« [M06/E]

»Der schneidend scharfen, brutalen Kontrapunktik des ersten Motivs folgt ein machtvolles Choralthema, das nach mehrfacher Variierung des wuchtigen Hauptthemas zu einem übermütigen, wilddröhnenden Schlußsatz führt« [E06/B]

»Aber gerade in diesem Finale steckt trotz aller Roheit und Brutalität, die vergebens die fehlende Kraft zu ersetzen suchen, eine Fülle des technischen und gestaltenden Könnens, die höchste Bewunderung abnötigt.« [M06/B]

Die ersten vier dieser Beispiele lassen sich ebenso als Dokumente des Nicht-Verstehens lesen. Es ist ein Unterschied, ob ein einzelner Abschnitt oder gewisse Partien – etwa die Marschpartien – als »brutal« charakterisiert werden, wie im obigen Fall [M06/A] oder auch bei Bernstein, oder ob das ganze Werk schlechthin als brutal bezeichnet wird. Die weiteren Nennungen sind W07/E, W07/J, B06/F, W07/D, W07/J, W07/O.

In einer Reihe von Rezensionen ist das Werk mit der Idee des Untergangs verknüpft worden. Es heißt dann etwa: »den Schluß des Werkes bildet eine Katastrophe.« [E06/a]

»das Werk endet mit einer Katastrophe.« [E06/C]18

18
Nach Karen Painter (The Aesthetics of the Listener, S. 349, 375) ist auch diese anonyme Kritik wie die vorangehende von Max Hehemann verfaßt worden, was sie allerdings nicht nachweist.

»Einem solchen Tonstrome gegenüber, den sich die Bläser leisten, kann sich auch ein doppelt so starker Streichkörper, wie ihn das heutige kombinierte Festorchester aufwies, nicht genügend Respekt verschaffen; er wird ohne Gnade in den Orkus hinabgestürzt.« [E06/F]


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