- 22 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Klavierfantasie von Thalberg. Dieses Konzert wurde von der k.k. Militärkapelle mit der Kaiser-Ouverture von Westmeyer eröffnet, die diese Pièce mit vorzüglicher Präzision durchgeführt habe, so der Grenzbote. Am Vorabend sei anläßlich der Hochzeit der Erzherzogin Gisela die Regimentskapelle in pleine parade zum Zapfenstreich ausgerückt und habe mit klingendem Spiel die Stadt durchzogen.5
5
Zit. nach Kurt Blaukopf (Hg.), Mahler. Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, Wien 1976 [= Blaukopf, Dokumente], S. 147.
Der Schluß Guido Adlers allerdings, daß hierin der Grund für das häufige Auftreten von Militärmusik-Elementen in Mahlers Werken zu finden sei6
6
Guido Adler, Gustav Mahler, Wien 1916, [= Adler, Mahler], S. 9f.
, scheint allzu vordergründig: Erinnert sei nur an den bitteren Sarkasmus, mit dem Mahler diese vorbeimarschierende Regimentskapelle in seinem Lied Revelge zum Ausdruck bringt, an die zweifelhafte Faszination des Soldatenmilieus, die in anderen seiner Wunderhorn-Vertonungen erscheint, und an die Marschpartien der Sechsten, die gerade dem preußischen und nicht dem österreichischen Marschtypus nahekommen (vgl. Kap. IV).

Im Jahre 1875, als Mahler sein Studium am Wiener Konservatorium begann, hielt der Wiener Arzt und Brahms-Freund Theodor Billroth eine epochemachende Rede, in der er die Überfremdung der Wiener Universität durch jüdische Studenten anprangerte. 1876 publizierte Billroth, der im übrigen mit vielen etablierten Juden befreundet war, seine Ideen in dem Buch Über das Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften.7

7
Jonny Moser, Von der antisemitischen Bewegung zum Holocaust, in: 1000 Jahre österreichisches Judentum, hg. v. Klaus Lohrmann, Wien 1982, S. 250–270, hier S. 252.
Wenig später begannen die Burschenschaften, jüdische Mitglieder aus ihren Vereinigungen auszuschließen8
8
Stephen Beller, Wien und die Juden: 1867–1938, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 210.
, schon 1877 führte die Burschenschaft Teutonia einen »Arierparagraphen« ein. Billroth hatte nicht mit den folgereichen Konsequenzen seines Vorstoßes gerechnet und distanzierte sich davon. Er trat später sogar dem von Bertha von Suttner gegründeten Verein zur Abwehr des Antisemitismus bei.9
9
Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996, S. 473, 625.

Das Jahr 1881 brachte zwei politische Morde: Zar Alexander II. und der amerikanische Präsident Garfield fielen Attentaten zum Opfer. Ab 1882 organisierte Georg von Schönerer in Österreich den politischen Antisemitismus. Mahler verbrachte diese Zeit als Theaterkapelleister in Laibach, dem heutigen Ljubljana. Die Stadt hatte gut 26.000 Einwohner, davon 60 % Slovenen und 40 % Deutsche; es lebten »1666 Mann Militär« in der Stadt10

10
Blaukopf, Dokumente, S. 161.
. Zwei weitere Kurzengagements führten ihn in andere Gegenden des Habsburger Reiches. Vor Laibach leitete er im Sommer 1880 die Kurkapelle in Hall, dem späteren Bad Hall in Oberösterreich; nach Laibach arbeitete er im Frühjahr 1883 als Opernkapellmeister in Olmütz, ebenso wie Iglau eine deutsche Sprachinsel innerhalb tschechischer Umgebung11
11
Henry-Louis de La Grange, Gustav Mahler, Chronique d’une vie, Band I: Vers la Gloire 1860–1900, o.O. [Paris] 1979 [= La Grange I], S. 139.
, wo von etwa 20.000 Einwohnern 65 % deutsch waren und die Garnison 4656 Mann umfaßte.12
12
Blaukopf, Dokumente, S. 164.
Auch in Laibach und Olmütz also traf Mahler auf zwei gegensätzliche Bevölkerungsgruppen und auf präsentes Militär.


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