- 148 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Höhen hinauftönt und von nicht mehr zu erreichendem Frieden erzählt. [...] Und dann die grandiose Tragödie des Finales, ein Orkan wetternder Schicksalsgewalten gegeneinander; die feurigen Reiter der Offenbarung Johannis stürmen hin, ein grauenvolles Zerstören alles Blühenden; den weinenden und hoffenden Sehnsuchtsstimmen zum Trotz, die erbarmungslos erstickt werden, bis alles zu Eis zu erstarren scheint und das Schweigen der Vernichtung erschütternd herabsinkt.«103
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Specht, Mahler (1913), S. 282.

Das Motto, das der Symphonie wie ein Wappen eingebrannt sei, bringe immer Schweres, Vernichtendes mit sich.104

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Ebd. S. 293.
Bei Specht ist die Vernichtung im Kampf nicht explizit mit militärischen Attributen gepaart, und auf die Marschrhythmen der Symphonie kommt er hier kaum zu sprechen. In einer anderen Passage erwähnt er jedoch, daß die Anfangstakte der Sechsten zu einer Art »Aufforderung zum Marsch« komprimiert seien.105
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Ebd. S. 280.
Er bestätigt also die im IV. Kapitel dargelegte Feststellung, es handele sich hier um sogenannte »Locke«. Die Passage vom »nicht mehr zu erreichenden Frieden« ist in einem Buch, dessen Vorwort mit dem 3. November 1913 datiert ist, allerdings bemerkenswert. Und ferner heißt es, Mahler sei der einzige, in dessen Tat und Werk der Inhalt der Jahrhundertwende enthalten sei, alles, was die Nachkommen einst an unserer Zeit segnen werden, und alles dazu, dem sie fluchen werden.106
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Ebd. S. 158, vgl. auch S. 160f.
Die negativen Seiten der Vorkriegszeit also zeigen sich den Nachkommen in Mahlers Musik.

Guido Adler gibt in seinem 1913 vollendeten Buch keine längeren Beschreibungen der einzelnen Symphonien, sondern charakterisiert Mahlers Schaffen in der Gesamtsicht, in dieser Zugangsweise ähnlich dem Buch Adornos. In den wenigen Passagen, in denen er die Sechste charakterisiert, steht der Pessimismus, die Lebensverneinung und die Tragik im Mittelpunkt, symbolisiert durch das Dur-Moll-Motto als Leitmotiv.107

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Adler, Mahler, S. 43, 61, 69. Ferner spricht er die Sechste auf den Seiten 62, 65–68, 72, 74, 82, 89 und 91 an.
In der aussagefähigsten Stelle spricht er von »unerbittlicher Tragik, die zum Untergang führt«108
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Adler, Mahler, S. 87.
. Die Rolle der Herdenglocken beschreibt er, sich auf eine Erklärung Mahlers berufend, ähnlich wie Specht, ohne jedoch eine politische Dimension einzubinden.

»Mahler wollte, wie er erklärte, damit ›nur ein ganz aus der weitesten Ferne verhallendes Erdengeräusch charakterisieren, das der auf einsamer Höhe Stehende erlauscht, als Symbol weltfernster Einsamkeit‹.«109

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Adler, Mahler, S. 72.

Insgesamt wird der Gehalt der Symphonie schon vor 1914 an folgenden Erscheinungsmerkmalen festgemacht: dem Untergang im vernichtenden Katastrophenschluß mit den Hammerschlägen, dem Motto, das Negativität symbolisiert, dem – unbarmherzigen – Marsch und dem Kampfgestus. Ein dezidierter Bezug zum Krieg ist nicht feststellbar; allenfalls spricht Paul Stefan die Nähe zum grellen


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