- 138 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Specht damit, daß Mahler »einen großen Teil des Tages zu jenen Kinderzeiten in der Kaserne verbrachte, mitten in der noch seltsam mittelalterlichen und landsknechtmäßigen Stimmung des Soldatenlebens in der Provinz«44
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Ebd. S. 19, auch S. 38.
. Diese Erklärung wird bei Specht und nachfolgenden Autoren nicht nur für die Soldatenthematik, sondern auch für das häufige Erklingen von Marschidiomen und Militärsignalen in den Symphonien herangezogen. Specht spricht von »Soldatenromantik« und von »alter Holzschneidekunst«; die Wunderhorn-Lieder seien in urwüchsigem Volkston gehalten und bis auf ein paar todesbange, fahle Stücke von geistreichem Humor erfüllt. Der Tamboursg’sell wird als »grausig« beschrieben, Revelje [sic] sei ein »geniales Nachtstück«, Der Schildwache Nachtlied sei »packend in den Kontrasten kriegerischer Laute und bebend verhallender Nachtstimmung«.45
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Ebd. S. 49f.
Etwas intensiver geht Specht auf jene Lieder in seinem Mahler-Aufsatz von 1908 ein. Für die »grausig gespenstigen, balladenhaften Nachstücke« sei Zu Straßburg auf der Schanz’ das charakteristischeste; ein Präludium zu der späteren grandiosen Réveille – die ihrerseits in ihrer geisterhaften Phantastik und ihrem unheimlichen schwarz-in-schwarz stimmungsverwandt mit der prachtvollen ersten Nachtmusik der Siebenten Symphonie ist – und vielleicht noch mehr zu dem erschütternden Tamboursg’sell46
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Richard Specht, Gustav Mahler, in: die Musik 7 (1907/08), S. 155.
. Zum einen kommt hier die inhaltliche Zusammengehörigkeit der betreffenden Lieder zum Ausdruck, zum anderen ihr grausiger, erschütternder Charakter.

Die erste allein Mahlers Liedschaffen gewidmete Publikation ist ein Aufsatz aus der Feder von Reinhard Piper (1879–1953), der 1904 seinen später bedeutenden Verlag gegründet hatte. Noch in seinen Lebenserinnerungen kommt er auf diesen »begeisterten Aufsatz« zu sprechen.47

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Reinhard Piper, Nachmittag. Erinnerungen eines Verlegers, München 1950, S. 16.
Der Artikel erschien 1908/09 in den Schlesischen Heimatblättern48
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Reinhard Piper, Gustav Mahler als Liederkomponist, in: Schlesische Heimatblätter 2 (1908/09), S. 191–197.
, einem allerdings recht abgelegenen Erscheinungsort. Paul Stefan macht in seinem Mahler-Buch von 1910 auf diesen Aufsatz jedoch aufmerksam und erwähnt auch einen kostenlosen Sonderdruck des Artikels durch Pipers Verlag – der Verleger hat also durchaus Anstrengungen auf sich genommen, diesen Artikel zu verbreiten. Piper kommt gleich zu Beginn auf die Wunderhorn-Lieder zu sprechen, zu deren Texten ihn eine »zwingende Wahlverwandschaft«49
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Piper, S. 191.
getrieben habe, ein Begriff, den später Adorno in einer zentralen Passage seiner Wunderhorn-Deutung wieder aufgriff50
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Adorno, Mahler, S. 67.
. Unter den Soldatenliedern bezeichnet er Revelge als das bedeutendste und stellt einen Bezug zum Straßburg-Lied her. Seine Beschreibung der Revelge spürt die Drastik des Liedes durchaus auf: Er spricht vom »verzweifelten Ingrimm«, vom »Klagen der getroffen Umsinkenden« und vom »schrillen Tralali, mit dem die Ueberlebenden über die hingemähten Brüder vorwärtsschreiten«. Aber daß hier Krieg in seiner Negativität dargestellt werde, dazu gelangt er nicht. Vielmehr spricht er vom Männlich-heroischen, das hier zu Wort komme, und vergleicht mit den Landsknechten Ferdinand Hodlers.51
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S. 194.
Gemeint sein dürfte hier das

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