- 137 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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An Adornos obiger Rekurs auf Specht und Bekker, zwei Autoren der frühen Mahler-Rezeption, und an die Diskussion mit Mayer muß sich die Betrachtung der frühen Rezeption von Mahlers Soldatenliedern anschließen. Zu prüfen ist einerseits, inwieweit die Lieder Mahlers als Ausdruck seines Inneren oder aber seiner Weltsicht angesehen werden: Verbirgt sich Mahler selbst hinter den Personen, von denen seine Lieder singen – dem Tamboursg’sell, dem Verfolgten im Turm, dem Trommler in Revelge, dem Herzallerliebsten, dessen Haus von grünem Rasen dort ist, wo die Trompeten blasen usw. – oder legt Mahler diese Worte anderen in den Mund, erzählt deren Geschichte, die er nachempfindet, wie Adorno meint. Andererseits steht in Frage, wie die frühen Mahler-Autoren damit umgehen, daß hier vielfach vom Soldaten und vom Krieg in seinen negativen Erscheinungen gesungen wird.

Eine erste Mahler-Biographie veröffentlichte Ludwig Schiedermair im Jahre 1900, die allerdings auf die Wunderhorn-Lieder kaum eingeht. In diesen »zierlichen Nippsachen« zeige sich »die liebenswürdige, heitere Seite den Komponisten«.40

40
Ludwig Schiedermair, Gustav Mahler, Leipzig o.J. [1900], S. 30.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren allerdings Revelge und der Tamboursg’sell noch nicht bekannt – sie erschienen erst 1905.

Für Arnold Schering, der 1905 diese Sammlung rezensierte, steht die Sonderstellung der Mahlerschen Lieder außer Zweifel:

»Es sind keine Lieder im ›gewöhnlichen‹ Sinne, poetische Vertonungen eines Textes, bei denen wir schon vollauf befriedigt sind, wenn dieser, mit einer persönlichen Note versehen, lebhaft nachempfunden wurde. Es sind vielmehr Bruchstücke aus einem grossen Zyklus von künstlerischen Bekenntnissen, die eigentlich zusammengehören, weil sie alle innerlich miteinander verwandt sind und mit zwingender Gewalt auf einunddieselbe Persönlichkeit weisen.«41

41
Arnold Schering, Gustav Mahler als Liederkomponist, in: NZfM 72 (1905), S. 672/73, 691–93, 753–55, hier S. 673. Es handelt sich um eine Besprechung der gerade erschienen »Sieben Lieder aus letzter Zeit« und der »Kindertotenlieder«.

In seiner Besprechung von Revelge sagt er, das kräftige, kernige Soldatenlied entwickele die Parole »Heute rot, morgen tot« mit ihrer furchtbaren Tragik vor dem Hörer. Die weiteren Ausführungen bestehen aus eine Charakterisierung des Liedverlaufs. Er prophezeit, daß das Lied ein Repertoirestück stimmkräftiger, intelligenter Sänger werde. Direkte Hinweise auf die Negativität des Stückes sind bei Schering nicht zu lesen, genauso wenig wie er anspricht, daß es sich beim Tamboursg’sell um einen Deserteur handelt.42

42
Ebd. S. 691.

Richard Specht schreibt in seinem kleinen Mahler-Buch von 1905 zu den Wunderhorn-Liedern, Mahler habe in dieser Sammlung schon aufgezeichnet gefunden, »was er aus sich selbst als dichterische Grundlage seiner Musik hätte formen müssen, um den ihm gemäßen Ausdruck zu schaffen«. In seinen Liedern komme sein ganzes Wesen in nuce zum Ausdruck – »weit komprimierter und rückhaltloser noch als in den großen Werken«.43

43
Specht, Mahler (1905), S. 18, 49.
Diese Aussage steht in gewissem Gegensatz zu der oben von Adorno angesprochenen, wo die Lieder »fern von jedem autobiographischen Bekennen« waren. Das gehäufte Vorkommen der Soldatenthematik erklärt

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