- 124 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Mahler hat ursprünglich das Scherzo an die zweite Stelle plaziert, dann aber in den drei von ihm dirigierten Aufführungen in Essen, München und Wien und in der von ihm besuchten Aufführung in Berlin immer das Andante vor das Scherzo gesetzt. In diesem Sinne wurde die gedruckte Partitur geändert. Die Mahler-Forschung begründet die ursprüngliche Reihenfolge mit einer Durata-Eintragung Mahlers auf den Korrekturabzügen zur Dirigierpartitur. Zunächst stand auf dem Titelblatt von Mahlers Hand für den zweiten Satz 15 Minuten und für den dritten 12. Diese Angaben sind – ebenfalls von Mahlers Hand – durchgestrichen und vertauscht. Da das Scherzo der deutlich kürzere Satz ist, tritt dieses an die zweite Stelle. Diese undatierte Eintragung wird als letztgültige Entscheidung Mahlers angesehen, die er somit nach seiner letzten Aufführung des Werkes in Wien am 4. Januar 1907 gefällt habe, in der er noch die andere Reihenfolge dirigierte. Ungelöst ist aber die Darlegung des Wiener Kritikers H. R. im Neuen Wiener Journal vom 5. Januar 1907, aus dem hervorgeht, daß Mahler in Wien zuerst das Scherzo aufführte. Das Kürzel bedeutet Heinrich Reinhardt, der seit Herbst 1906 Musikkritiker der Zeitung war und sich als Führer der Kampagne gegen Mahler profilierte163
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Elisabeth D. Schuschitz, Die Wiener Musikkritik in der Ära Gustav Mahler 1897–1907, Diss. Univ. Wien 1978, S. 28.
. Eine andere Rezension164
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T.H. [Theodor Helms] im Musikalischen Wochenblatt 17.1.1907, S. 56. Jülg dagegen hält die Aussage von H.R. für authentisch und geht von der Reihenfolge Scherzo – Andante in Wien aus (Jülg 1986, S. 111).
sowie der Programmzettel165
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Jülg 1986, S. 111.
dokumentieren die gegenteilige Reihenfolge Andante – Scherzo. Denkbar ist nun, daß Reinhardt nicht die Aufführung, sondern die – kostenpflichtige und ausverkaufte – Generalprobe besucht hat. Die marginalen Begebenheiten, die er vom Abend der Aufführung mitteilt, konnten ihm leicht berichtet worden sein. Auf der Generalprobe könnte Mahler das Scherzo an zweiter Stelle dirigiert und daraufhin die Durata-Korrektur vorgenommen haben. Im Konzert selbst wäre er dann zur anderen Reihenfolge zurückgekehrt. Als weitere Stütze für die Reihenfolge Scherzo – Andante findet sich in Willem Mengelbergs Dirigierexemplar die Eintragung »Nach Mahlers Angabe II erst Scherzo dann III Andante«166
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Zitiert nach der Kritischen Gesamtausgabe, Bd. VI, rev. Fassung 2000.
; wobei der Zeitpunkt dieser Angabe Mahlers unbekannt ist. Schließlich wird darauf verwiesen, daß Mahler auch in der Ersten, Zweiten, Vierten, Fünften und Siebten Symphonie vor den Finale einen langsamen Satz plazierte.167
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Karl Heinz Füssl, Zur Stellung der Mittelsätze in Mahlers Sechster, in: Nachrichten zu Mahler-Forschung 27 (1992), S. 6.
Weitere Unklarheit in die Problematik der Reihenfolge bringt Paul Stefan. Er behandelt in seiner Mahler-Biographie von 1910 das Andante vor dem Scherzo, ebenso in der »Neuen, vermehrten und verbesserten Ausgabe« von 1912.168
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Paul Stefan, Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk. München 1910, S. 103, 1912, S. 124.
In der »Neuen, vermehrten und veränderten Ausgabe« von 1920 heißt es dagegen: »Die von Mahler endgültig bestimmte Reihenfolge der Mittelsätze ist: Scherzo vor dem Andante«169
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Paul Stefan, Gustav Mahler. Eine Studie über Persönlichkeit und Werk. München 1920, S. 132.
. Von dieser 1920 vertretenen eindeutigen Stellungnahme ist Stefan 1923 wieder abgedrückt, denn hier heißt es: »Welche Reihenfolge Mahler den Mittelsätzen

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