- 125 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Andante und Scherzo endgültig geben wollte, steht nicht genau fest.«170
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Paul Stefan, Mahler für jedermann, Wien-Leipzig 1923, S. 45f.
Guido Adler nennt das Scherzo vor dem Andante, ohne allerdings auf Mahlers Vertauschung der Sätze einzugehen.171
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Adler, Mahler, S. 43 und 64.
Richard Specht dagegen spricht sowohl in seinem Führer von 1906 als auch in seiner Mahler-Biographie von 1913 als auch in der veränderten Auflage von 1918172
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Richard Specht, Gustav Mahler. Sechste Symphonie [Kahnts Musikführer], Leipzig o.J., Ders., Gustav Mahler, Berlin und Leipzig 1913, S. 294ff; 9.-12. Auflage Berlin o.J. [1918], S. 248.
das Andante als zweiten Satz an. Demnach hätte er also von Mahlers Änderung nichts erfahren.173
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Paul Stefan, Gustav Mahler, München 1910, S. 103f.
Alma Mahler schreibt entsprechend, im dritten Satz schildere Mahler das arhythmische Spielen der Kinder, die Kinderstimmen würden immer tragischer und am Schluß wimmere ein verlöschendes Stimmchen.174
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Alma Mahler, Erinnerungen, S. 97.
Das dürfte sich viel eher auf das Scherzo als auf das Andante beziehen. Auch Paul Bekker, der sich bei Alma Mahler im Vorwort seines Buches für ihre Unterstützung bedankt, behandelt das Andante vor dem Scherzo.175
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Paul Bekker, Gustav Mahler, Berlin 1921, S. 219.
Das Problem der Reihenfolge wird bei der derzeitigen Quellenlage wohl nicht letztgültig zu klären sein. Sicher ist, daß Mahler lange um die Reihenfolge gerungen hat. Die Tatsache, daß er noch nach mehrmaligem Ausprobieren in allen Aufführungen immer wieder zuerst das Andante dirigiert hat, wiegt schwer. Ebenso gravierend ist die Tatsache, daß er eine Rückkehr zur ursprünglichen Reihenfolge Scherzo – Andante jedenfalls seinem Verleger nicht dezidiert mitgeteilt hat. So muß eine allzu einseitige Festlegung zugunsten dieser Reihenfolge bedenklich erscheinen.176
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Diese Bedenken werden durch die jüngst erschienen Studie The correct Mouvement Order in Mahler’s Sixth Symphony, hg. von Gilbert Kaplan, New York 2004, unterstützt. Bezugnehmend auf diese Untersuchung hat sich inzwischen die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft auf die Reihenfolge Andante – Scherzo festgelegt; auch der Peters-Verlag folgt dieser Entscheidung (vgl. den Jahresbericht 2003 der Gesellschaft). Dagegen argumentiert Siegfried Oechsle aus strukturellen Gründen wiederum für das Andante an dritter Stelle (Siegfried Oechsle, Liedcharaktere und historische Rekursivität. Perspektiven der Mahler-Analyse am Beispiel des Andante der Sechsten Symphonie, in: Gustav Mahler und das Lied. Referate des Bonner Symposions 2001, hg. von Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck, Frankfurt/M. 2003, S. 145–169).

Adorno führt jenseits aller philologischen Argumente ein musikalisches für die Reihenfolge Scherzo – Andante an, den Modulationsplan. Denn die Rückführung vom Es-Dur-Andante zur a-Moll-Grundtonart der Symphonie erreicht Mahler über die lange c-Moll-Einleitung des Finales.177

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Adorno, Mahler, S. 115, vgl. auch Adornos Dritten Mahler-Rundfunk-Vortrag, erstmals gedruckt in den Musikalischen Schriften Band V, S. 613.
Hier ist zunächst einzuwenden, daß Mahler die Hinführung zum Es-Dur vom a-Moll-Scherzo aus nicht modulatorisch, sondern schlicht per Rückung erreicht, also ohne »Modulationsplan«. Ferner hat die Reihenfolge Andante – Scherzo den Vorteil eines größeren Abwechslungsreichtums und einer quasi symmetrischen Anlage. Auf das a-Moll des ersten schnellen Satzes folgt ein langsamer Satz in einer Tonart mit drei B (Es-Dur). Hierauf folgt wiederum ein schneller Satz in a-moll (Scherzo). Nun erscheint eine weitere langsame Passage in einer Tonart mit drei B (Einleitung zum vierten Satz in c-Moll). Abschließend folgt abermals ein schneller Satz in a-Moll. Die oben skizzierte Entsprechung von Lied und Symphonie ist auf die Reihenfolge Andante – Scherzo abgestimmt.


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