- 111 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (110)Nächste Seite (112) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Signale, mit denen der Tambour die Militärkapelle zur Aufstellung ruft. Mahler prägt seiner Sechsten gleich zu Beginn das Siegel des Militärmarsches auf.

Vielfach wird in der Literatur auf den Unterschied von preußischem und österreichischem Militärmarsch hingewiesen: »der altpreußische Militärmarsch mit seiner relativ langsamen, nur die Schritte markierenden Bewegung, und der neuere österreichische Militärmarsch, dessen Tempo lebhafter ist und der in der Begleitung zwischen den Schritten noch einen Unterteilungsrhythmus betont«130

130
Karl Blessinger, Grundzüge der musikalischen Formenlehre, Stuttgart 1926, S. 250.
. Die beständige viertelweise Ausfüllung der leichten Zeit zwischen den einzelnen Schritten ist also ein Charakteristikum der neueren österreichischen Militärmärsche, die dadurch eine leichtere Gangart annehmen. Ganz deutlich ist etwa schon der Radetzki-Marsch von Johann Strauß (Vater) aus dem Jahre 1849 davon geprägt. »Er ist wohl der prägnanteste Gegenpol zum preußischen Armeemarsch des 19. Jahrhunderts, bestimmt durch den leicht-beschwingten Schritt des alt-österreichischen Armee-Zeremoniells.«131
131
Deutsche Armeemärsche Band II, S. 56.
Eduard Hanslick warnte vor allzu leichtem Charakter: »Bei dem frischesten Marsch sollte man nie vergessen, daß es Krieger sind, die sich ihn aufspielen. Wenn der Soldat zum Tanz geht, schnallt er den Säbel ab: der Marsch sollte unter allen Umständen bewaffnete Musik bleiben.«132
132
Eduard Hanslick: Österreichische Militärmusik, in: Ders.: Geschichte des Konzertwesens in Wein, 2. Teil, Wien 1870, S. 54.
Von diesem österreichischen Typus sind einige Marschpartien in der Dritten Symphonie Mahlers geprägt, so in den Takten 279ff., 314ff., 762ff., jeweils in F-Dur. In der Sechsten ist dieser Typus dagegen nicht vertreten. Hier zeigt sich ausschließlich der ernstere preußische Typus, der in weiten Passagen präsent ist.

Der Hauptsatz der Exposition des ersten Satzes (Takt 6–56) ist fast durchgängig von marschartigen markierten Vierteln auf dem Grundton geprägt. Auch das Motto (Takt 57–60), das zwischen Hauptsatz und Choral steht, ist entschieden mit diesem Marschgestus besetzt. Während sich im folgenden Choral-Teil (Takt 61–76) der Charakter ändert, bleibt doch ein Rest von Marschempfindung übrig. Sie wird durch die Pizzikato-Streicher hervorgerufen, die Tonwiederholungen variiert in Vierteln markieren. Hierdurch bleibt der Marschgestus unterschwellig unter den ruhigen und leisen Holzbläserklängen erhalten. Erst mit Eintritt des Seitensatzes (Takt 77) nimmt sich der Marsch zurück, um aber in einer Episode (Takt 91–98) gleich wieder hervorzutreten. Bei der Wiederholung des Seitenthemas bleiben die Viertelrepetitionen in den Bässen noch für zwei Takte erhalten (Takt 99–100), um sich danach für den Rest der Exposition (bis Takt 120) zurückzuhalten. In Takt 121f. treten sie wiederum deutlich in der kleinen Trommel hervor, um entweder zur Wiederholung der Exposition überzuleiten oder in Takt 123 als nur rhythmische Erscheinung des Mottos fortgeführt zu werden. Die sich anschließenden Passagen der Durchführung sind wiederum ganz von Marschmerkmalen bestimmt. Erst mit Eintritt der Herdenglocken in Takt 198 sind sie völlig verschwunden. Der hierin eingebettete Choral ist nun nicht mehr von den Pizzicato-Streichern begleitet und verliert somit seinen unterschwelligen Marschgestus. In der Begegnung mit Seitensatzelementen (Takt 217ff.) setzt sich die Marschabwesenheit fort. Der plötzliche Charakterwechsel in Takt 250, unterstrichen durch die Temporückung und die Bemerkung


Erste Seite (i) Vorherige Seite (110)Nächste Seite (112) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 111 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang