- 110 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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anstreben. Die musikalische Funktion des Marsches wird demnach nicht so sehr im Bereich musikalischer Syntax, sondern eher auf semantischer Ebene gesehen.
  • Es gibt keine Möglichkeit, sich auf Mahlers eigene Aussagen zu berufen. In den verfügbaren Quellen finden sich keine Hinweise auf die Funktion der Marsches in seiner Musik.
  • Die vergleichsweise aussagefähigste Definition des Marsches gibt der New Grove von 1980:

    »Music with strong repetitive rhythms and an uncomplicated style usually used to accompany orderly military movements and processions. [...] March music is essentially an ornamentation of a fixed, regular and repeated drum rhythm. Stylistc traits of the march that seem to be present throughout its history include rhythmic patterns with regularly recurring accents built into phrases or periods, straightforward harmonies and textures, and unpretentious but often memorable melodies.«128

    128
    Schwandt, Erich, Art. »March« in: The New Grove Dictionary of Music an Musicians, ed. by. Stanley Sadie, London 1980, Vol. 11, S. 650.

    Einen wichtigen Bestandteil dieser Definition bilden Aussagen zum Rhythmus. Der Marschrhythmus bestehe aus stark repetierenden Rhythmen und regelmäßig wiederholten Akzenten zur Begleitung militärischer Bewegungen und Prozessionen. Zum einen ist also das Tempo der Bewegung, des Marschierens wichtig, zum anderen die starke Herausbildung der einzelnen Schritte. Der Begriff »Marsch« leitet sich entsprechend ab von lat. marcare = hammern.

    Ein Blick in die Sammlung Deutsche Armeemärsche129

    129
    Deutsche Armeemärsche Band II, Parademärsche für Fußtruppen, . . . neu bearbeitet von Friedrich Deisenroth, Particell, Berlin-Wiesbaden 1970.
    bestätigt die Definition. Fast durchgehend werden die einzelnen Viertelschläge herausgearbeitet, vor allem in den Schlag- und tiefen Blasinstrumenten, aber auch in den melodieführenden Linien. Diese Viertelschläge sind manchmal durch Achtel, Achteltriolen oder punktierte Achtel mit Sechzehnteln verbunden. Ein weiteres Merkmal bildet das Verharren dieser Schläge auf demselben Ton; in aller Regel ist es der Grundton der Harmonie, bisweilen im Wechsel mit der Quinte.

    In Mahlers Sechster finden sich die Gestaltmerkmale des Marsches aufs deutlichste wieder. Die fünftaktige Einleitung vor dem Einsatz des Hauptthemas entspricht den Einleitungen, die häufig den Märschen vorangehen. Sie findet sich beispielsweise im Radetzki-Marsch und Geschwindmarsch von Joh. Strauß (Vater), im Alexandermarsch von A. Leonhardt, im Marsch von Graf von Redern, im Defiliermarsch von Faust, im Helenenmarsch von Lübbert, im Viktoriamarsch von Neumann, im Düppel-Schanzen-Sturmmarsch von Piefke und in vielen weiteren in der Sammlung Deutsche Armeemärsche, die wie im Falle von Strauß und Leonhardt auch ursprünglich österreichische Märsche enthält. Diese Einleitungen sind in aller Regel viertaktig. Die Fünftaktigkeit von Mahlers Einleitung kommt dadurch zustande, daß der erste Takt nur Rhythmus auf dem Grundton bringt. Er kann als eine verkürzte Form der sogenannten »Locke« angesehen werden, das sind rhythmische


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