- 104 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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»der Hussitenchoral mit seinen an Smetanas ›Tabor‹ gemahnenden fanatischen Untertönen«100
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Ebd., S. XX.

»Etwas von der Unentrinnbarkeit des Kriegsausbruches von 1914, ein Vorgefühl des kommenden Ungewitters und des über der Friedenswelt des Jahrhundertbeginns lastenden Verhängnisses muß das Unterbewußtsein Mahlers beseelt haben, als er an die Komposition des gewaltigen Finales der Symphonie ging.«101

101
Ebd., S. XIX.

»In diesem Finale treffen alle thematischen Elemente der vorhergegangenen Sätze noch einmal zusammen in einer letzten katastrophenartigen Konstellation.«102

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Ebd., S. XIX.

»Die Unentrinnbarkeit der thematischen Zusammenhänge in diesem Finale bleibt eine von Mahlers kompositionstechnischen Höchstleistungen.«103

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Ebd., S. XXIf.

Allem voran ist es der in drei Sätzen wahrzunehmende Marschrhythmus, der als militant, kriegerisch, militärisch, unerbittlich, fanatisch und verbissen beschrieben wird. In einer früheren Analyse der Sechsten von 1963, deren Ergebnisse 1968 vielfach wieder aufgegriffen sind, hat Redlich die Märsche im ersten und vierten Satz »quite unmilitary«104

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Hans F. Redlich, Mahler’s Enigmatic Sixth, in: Festschrift O.E. Deutsch, hg. v. W. Gerstenberg, Kassel 1963, S. 254.
bezeichnet. Vielleicht ist damit gemeint, daß die Marschpartien sich vom gewöhnlichen Parademarsch deutlich abheben. Ein zweites Moment sind die choralartigen Passagen, die als Symbol zum Schweigen verurteilter Gemeinschaften verstanden werden, weil Redlich eine Beziehung zum Hussitenchoral erkennt. Als drittes Element erscheint das Finale mit seiner katastrophenartigen Konstellation. Schließlich benennt er ein »Motiv der kosmischen Hybris« – 1963 hieß es »cosmic catastrophe« –; gemeint ist damit der Dur-Dreiklang, der sich durch Absenken der Terz in einen Moll-Dreiklang verwandelt. Verbunden ist damit häufig der »erbarmungslose Schicksalsrhythmus«105
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Redlich Vorwort, S. IX, 1963, S. 251.
, der in verschiedenen Konstellationen zumeist in den Pauken auftritt. Eine Auflistung der Varianten dieses Rhythmus findet sich bei Floros106
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Constantin Floros, Gustav Mahler II. Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts in neuer Deutung, Wiesbaden 1977, S. 417.
. Diese Verbindung der harmonischen Trübung mit dem Rhythmus bezeichnet die Mahler-Forschung in der Regel als »Motto«. Der erste und dritte Aspekt erscheint auch bei Adorno, wobei dieser den Marschrhythmus explizit nur im ersten Satz aufzeigt, nicht auch im Scherzo und im letzten Satz. Vom Hussitenchoral ist bei Adorno nicht die Rede.

Erwin Ratz äußerte seine Interpretation in Texten, die dem Leben und Schaffen Mahlers im allgemeinen galten. In seinen beiden analytischen Aufsätzen zur Sechsten wiederholt er zwar diese Deutung: – »das Werk, das wahrhaft vom Martyrium des Menschen spricht«107

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Erwin Ratz, Zum Formproblem bei Gustav Mahler. Eine Analyse des Finales der VI. Symphonie (1956), in: Ders. Gesammelte Aufsätze, hg. von F. C. Heller, Wien 1975, S. 141.
, »können wir erst jetzt, angesichts der Katastrophen, die wir erlebt haben und die uns noch bevorstehen mögen, in ihrer ganzen

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