die inszenatorischen Mittel niemals in den Vordergrund rückt,
sondern sie vielmehr immer hinter der zu erzählenden Geschichte zurücktreten lässt.
Rasante Kamerafahrten und auffällige Schnitte sind aus diesem Grund nur sehr selten
anzutreffen; alle filmischen und somit auch musikalischen Mittel dienen der Darstellung
der Handlung.
Die Bedeutung der Indienreise 1968 ist in den Einzelanalysen immer wieder betont
worden. Bereits zuvor zeichnete sich Malles Werk durch die Koexistenz von Spiel- und
Dokumentarfilmen aus, was seinen Ursprung zu einem Teil in der filmischen Ausbildung
des Regisseurs hat. Durch die Lehrjahre bei Cousteau unterscheidet sich sein praxisnaher
Ansatz fundamental von dem der Cahiers du Cinéma-Kritiker Truffaut, Godard
und Rivette, die ihre Filme eher auf ästhetisch-theoretischen Überlegungen
basierten.676
Vgl. J.-C. Laureux, zit. n. Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001: »Il y a une volonté
documentaire très forte chez Louis. Son aspect documentariste est fondamental dans
son oeuvre, beaucoup plus que la plupart des gens de sa génération qui étaient plus
des intellectuels, Parisiens introvertis. Louis, il a quelque chose d’un journaliste, d’un
documentariste . . . « (»Es gibt bei Louis einen sehr starken Hang zum Dokumentarischen.
Dieser Aspekt schlägt sich fundamental in seinem Werk wieder, viel stärker als bei den meisten
seiner Generation, die eher introvertierte Pariser Intellektuelle waren. Louis hat etwas von
einem Journalisten, von einem Dokumentaristen . . . «)
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Auch Malle selber hebt immer wieder den Einfluss des Beginns seiner Karriere unter Cousteau
hervor: »J’ai appris une certaine façon de regarder le monde qui à la fois assouvit une grande
partie de ma curiosité de jeune homme, mais qui a engendré chez moi une sorte de curiosité
permanente.«677
Louis Malle in Le bon plaisir (»Ich habe gelernt, die Welt auf eine bestimmte Weise zu
betrachten, die einerseits meine Neugier stillte, die ich als junger Mann hatte, die aber
andererseits eine Art ständige Neugier erzeugte.«)
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Während der Regisseur die frühen Dokumentarfilme Vive le tour! (1963) und
Bons baisers de Bangkok (1964) noch mit relativ viel Musik aus dem Off
versieht – obgleich er bereits bei der Cousteau-Produktion Le Monde de
silence (1956) den seiner Ansicht nach überladenden Gebrauch von Musik
kritisiert678
Vgl. Malle in French (1998), S. 26: »Ich erinnere mich, wie Cousteau und ich während
der Bearbeitung über Musik stritten. Und ich sagte: ›Was Sie da machen, ist keine
Dokumentation, sondern Showbusineß. Es ist nicht das, was es sein sollte. Es wird immer mehr
wie Walt Disney.‹ Disney machte damals diese Dokumentarfilme über ›echte Abenteuer‹,
die ganz nach der Musik geschnitten wurden, um ein Massenpublikum anzusprechen.« Malle
spielt hier offensichtlich auf Szenen an, in denen die Musik den Gestus der Bildvorgänge
nachahmt. So montierte Cousteau zu einer Gruppe springender Delphine eine heroische Musik
mit Bläsersignalen, die an einen Schlachtenruf erinnern.
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– ändert sich diese Ästhetik mit Calcutta und L’Inde fantôme (1969), in denen
Malle dem synchronen Originalton den Vorzug gibt und keine Nachvertonungen
vornimmt. Diese neue Ästhetik ist durch die technische Entwicklung von Kameras
und Tonbandgeräten und die Bewegungen cinéma direct und cinéma vérité
beeinflusst.
Neben dem feinfühligen Gespür für Geräusche und Stimmen, die mit dem
neuen Verfahren des son direct wesentlich authentischer übermittelt werden
können, ist vor allem der folgende Aspekt von Bedeutung: Malle sieht in
seiner Form des cinéma direct – »a completely free, improvised form of
cinema«679
Gow, Gordon: »Like Acid«. In: Films & Filming 3 (12/75), S. 12–16, hier S. 12
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– einen stärkeren Miteinbezug des Zuschauers in den Kommunikationsprozess Film.
Anstatt diesem im Sinne des Autorenkinos seine persönliche Vision vorzusetzen, will
Malle ihn
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