zu einem selbständigen Auseinandersetzen mit dem Filminhalt animieren,
indem er keine weiteren Erklärungen liefert, sondern durch eine weitestgehend
neutrale Präsentation mehrere Betrachtungs- und Interpretationswege offen
lässt.
Was Malle in erster Linie für das Bild und dessen Bearbeitung in Form der Montage ansieht, gilt auch für den Filmton und insbesondere die Musik. Durch das Fehlen von extern montierter Musik unterstützt Malle die neutrale Darstellung und vermeidet ein bewusstes, vordergründig emotionales Beeinflussen des Zuschauers. Hinzu kommt, dass in den Indien-Filmen der Off-Kommentar keine Wertung vornimmt, sondern lediglich die für das Verständnis der Bilder notwendigen Informationen bereit hält. Dieses auf den ersten Blick wertfreie Präsentieren erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt in dem Dokumentarfilm Humain, trop humain (1972), in dem weder Off-Kommentar noch sonstige klar verständliche Dialoge montiert werden, sondern lediglich der nonverbale Lärm des Fließbands zu vernehmen ist. Malle wendet sich somit paradoxerweise von einer Autorentheorie im Sinne eines Chabrol oder Truffaut ab680
Diese Dokumentarästhetik nimmt starken Einfluss auf die folgenden Spielfilme der zweiten Periode: Le Souffle au coeur (1971), Lacombe Lucien (1974), Pretty Baby (1978) und Atlantic City, U.S.A. (1980) stellen Fusionen von Dokumentar- und Spielfilmen dar, indem sie Elemente des cinéma direct in die Handlung integrieren: Malle schafft den Dokumentarischen Spielfilm. Die erwähnten Elemente liegen beispielsweise in der grundsätzlichen Haltung Malles, das Verhalten und den Charakter von Figuren in seinen Filmen nicht zu be- bzw. verurteilen. So vermeidet er eine Montage, die Wertungen suggerieren könnte, ebenso wie eine eingreifende Musikdramaturgie im Off (die Mehrzahl der Musikeinsätze ist im On verankert), die Emotionen zur Identifikation mit dem Protagonisten suggerieren könnte.681
»Aussi suis-je intimement persuadé que réel et fiction se nourissent l’un à l’autre. C’est pourquoi j’ai toujours utilisé mon expérience de documentariste dans mes films de fiction, surtout les derniers. Ainsi dans Au revoir les enfants, mes jeunes interprètes ne travaillaient pas leurs rôles comme des comédiens professionnels.«682
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