angelegt. Delerue zitiert in ihr vertrautes
musikalisches Material, welches ebenso in Hollywood-Filmen anzutreffen sein
könnte.
Ausnahmen in diesem Abschnitt bilden die Filme Le Feu follet (1963), Le
Voleur (1967) und William Wilson (1968), in denen die Musik teilweise den
Pfad der Paraphrasierung der Bildatmosphäre verlässt und sich einer weniger
stereotypisierten Sprache bedient. Der Gebrauch der Musik Erik Saties in Le Feu follet
mutet zunächst auch im Sinne der Mood-Technique wie eine Paraphrasierung
der verzweifelt-melancholischen psychischen Verfassung des Protagonisten an;
diese Verwendung ist jedoch weitaus vielschichtiger zu deuten, da die Musik
auch laut Malle selbst mitunter einen ironischen Kontrapunkt zur Handlung
bildet.673
Während der Regisseur die Episode William Wilson mit Neuer Musik von Diego Masson
ausstattet (eine Musiksprache, die in keinem anderen seiner Filme Eingang findet)
und durch die Ausdruckskraft der Musik die Grenzen zwischen Realität und
Traum verwischen lässt, deutet sich mit Le Voleur eine Tendenz an, die nach der
Erfahrung der Indien-Filme in den Spielfilmen zur Geltung kommen wird: die
Ästhetik des Dokumentarischen Spielfilms. Zeichnet sich der Film auf visueller
Ebene durch eine detaillierte Schilderung des Einbrechergewerbes (das wie ein
präzises Handwerk dargestellt wird) samt Milieu aus, so kommt der Film mit
erstaunlich wenig Musik aus (5 %). Davon entfällt ein Teil auf Musik im On. Malle
verzichtet in diesem Film folglich auf eine ausladende Musikdramaturgie mit
verschiedenen Themen – weswegen sich der Stil fundamental von dem des Films Vie
privée unterscheidet, der Malle zufolge auch eine Art Dokumentarfilm über
Brigitte Bardot darstellt – und beschränkt sich auf kurze Einsätze, die die
Beziehung des Protagonisten zu seiner Geliebten kennzeichnen. Wegweisend auch
für nachfolgende Filme ist die Absenz von intensitätssteigernder Musik bei
dramaturgischen Schlüsselstellen wie dem Höhepunkt oder Vor- und Abspann. Somit
sind Le Voleur und Le Feu follet nicht nur im Hinblick auf die Stilistik der
verwendeten musikalischen Sprache verwandt, sondern auch in Bezug auf die
dramaturgische Verteilung der Takes, da Malle in beiden Filmen sporadische Einsätze
vornimmt und beispielsweise beim Suizid Alain Leroys die Musik schweigen
lässt.
Dieser auditive Aspekt verweist auf die häufig in Malles Filmen anzutreffende
Neutralität der Darstellung von Charakteren und Situationen. Bereits in Les
Amants moralisiert der Regisseur nicht gegen das Verhalten von Jeanne, sondern
stellt es als einen Ausbruch aus den bürgerlichen Konventionen dar, mit dem er
stillschweigend sympathisiert. Dementsprechend verzichtet er auf Musik, deren
inhaltlicher Kontext Jeannes Schritt kommentieren bzw. kritisieren könnte. Auch Le
Feu follet zwingt nicht zur unbedingten Identifikation mit dem Protagonisten,
sondern stellt diesen als ein Opfer der Gesellschaft dar, welches jedoch nicht
zwangsläufig zu bemitleiden ist. Die Tonspur wiederum dramatisiert nicht,
sondern setzt mitunter kontrapunktische Akzente. Dieser Aspekt einer gewissen
Neutralität korrespondiert mit der stilistischen Ästhetik einer »›unsichtbare[n]
Regie‹«674
Zit. n. Burg, Vincent B.: »Wider alle Moden. Fragment über Louis Malle«. In: o. V.: Jahrbuch
Film 84/85. München: Hanser 1985, S. 72–83, hier S. 82
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bzw. einem »›Nullpunkt des kinematographischen
Stils‹«,675
was bedeutet, dass Malle
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