- 209 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Oehlmann von einem Ausbruch »aufgestaute[r] Fülle des Schmerzes«.554
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Oehlmann (1993), S. 681
Oftmals wird die unglückliche Affäre des Komponisten mit der 16-jährigen Gräfin Giulietta Guicciardi, der die Sonate gewidmet ist, mit dem Ausdrucksgehalt vor allem des ersten und des dritten Satzes in Verbindung gebracht. Im Kontext des Films spielen derlei Spekulationen keine Rolle; wichtiger ist der Charakter des III. Satzes, welcher in der Tat den Gestus des Aufbegehrens und einer gewisse Erregung in sich birgt. Es ist jedoch erneut fraglich, ob France durch die Musik ihre Gefühle mitteilen will. Das Repetieren einzelner Passagen – sie übt das Stück – klingt zwar, als wolle die Musik Luciens Verhalten ironisieren und anprangern, dennoch wirkt France beim Betreten des Salons keineswegs feindselig, sondern vielmehr neugierig in Bezug auf den Gast, dem sie gegen den Willen ihres Vaters vorgestellt werden möchte.555
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Im Drehbuch wird France an dieser Stelle mit »souriante« beschrieben (»lächelnd« / »fröhlich«). Vgl. Malle/Modiano (1989), S. 50
Ebenso wenig hat es den Anschein, als sei ihr Klavierspiel ein Ausdruck genereller Verzweiflung über ihre gegenwärtige Situation als Flüchtling.

Take 12 (Beethoven: op. 27, 2 I. Satz): In diesem Take wird endgültig deutlich, dass Albert Horn in stärkerem Maße als seine Tochter die Klaviermusik mit Gefühlen und Erinnerungen verbindet. Zu den elegischen Klängen des ersten Satzes der Sonate, mit denen man durchaus Klage oder Wehmut assoziieren kann, zieht er ein bitteres Resümee seines Lebens: »Il me semble que j’ai toujours marché au rythme de cette musique-là . . . «556

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Ebda., S. 64 (»Mir scheint, ich habe immer im Rhythmus dieser Musik gelebt.«)
Im Folgenden trauert er der Karriere seiner Tochter als Konzertpianistin hinterher, die aufgrund den politischen Umständen unmöglich geworden ist. France bittet ihn, »nicht wieder damit anzufangen«.557
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Ebda. (»Tu ne vas pas recommencer, papa . . . «)
Offensichtlich spielt sie ihrem resignierten Vater die Musik vor, weil der sich dieses gewünscht hat. Sie selbst scheint mit ihren Gefühlen weit weniger involviert zu sein.

In dieser Szene bildet die Musik mit den Bildern eine dichte atmosphärische Einheit. Die Großmutter und Horn wirken noch lethargischer als in den Szenen zuvor, was mit dem ruhigen Gestus des Adagios korrespondiert.

Take 21: Anstelle eines zusammenhängenden Stückes erklingen an dieser Stelle einzelne Motivfetzen, Quartenläufe, Tonleiterübungen. France ist offenbar dabei, ein neues Stück zu üben. Das Klavierspiel wirkt jedoch ziellos und zerrissen, da sie nahezu kein Motiv wiederholt. Über dieser Szene lastet schwer die Rivalität zwischen Lucien und Horn, die sich in einem Machtkampf äußert, als der Schneider, dessen Abneigung Lucien gegenüber nun offen zu Tage tritt, die Verbindungstür zum Klavierzimmer schließt, Lucien diese jedoch wieder aufstößt. Die Spannungen klingen erst ab, als Hippolyte Luciens Mutter in die Wohnung führt.

In einem linearen Vergleich der Klaviertakes fällt auf, dass sich die Stimmung der Stücke wie folgt ändert:558

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Der Praktikabilität halber wurden die einzelnen Ausdruckscharaktere auf 2–3 Attribute beschränkt.


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