- 189 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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in New York in der Charlie Parker Quartet-Besetzung aufgenommen.482
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Charlie Parker (as), Hank Jones (p), Teddy Kotick (b), Max Roach (dr)
Seltsamerweise befinden sich diese Aufnahmen nicht auf der Soundtrack-LP,483
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Titel und Nummer der LP: Louis Malle’s Murmur of the Heart. Roulette SR-3006 (1971)
die jedoch wiederum Stücke Parkers enthält, die im Film an keiner Stelle erklingen. Kim No. 2 ist ein sehr schnelles Bebop-Stück (Viertel=320), das eindrucksvoll die Virtuosität Parkers bestätigt. Es lässt sich strukturharmonisch vom Gershwin-Stück I Got Rhythm ableiten484
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Vgl. Goeman, Ulfert/Wilson, Peter Niklas: Charlie Parker. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Schaftlach: Oreos 1988, S. 187
und zeigt einige typische Bebop-Phrasen.485
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Vgl. Charlie Parker Omnibook For E Flat Instruments. Lynbrook, New York: Atlantic Music Corp. 1978, S. 54 ff.
Dieses Stück konstituiert die musikalische Bogenform des Films. Es erklingt am Anfang in einem relativ langen Take (216 sec) und beschließt den Film. Zudem wird es in der Mitte des Films montiert, wo es als Übergang zwischen den beiden großen Teilen des Films dient (Aufenthalt im Elternhaus in Dijon und Kur im Sanatorium).

Der Charakter der Musik in Take 1 steht im Kontrast zur Tätigkeit Laurents. Dieser sammelt Spenden für die Opfer des Indochinakrieges, eine Aufgabe, die ihm (sehr wahrscheinlich) von der Schule auferlegt wurde. Pflichtbewusst führt er diesen Auftrag aus, seine Gedanken (wie auch die seines Freundes Gérard) kreisen jedoch um den Jazz, wie ihr Gespräch verdeutlicht. Dabei belehrt Laurent Gérard, dass Parker unter einer »dépression nerveuse« leide, was jedoch ›klassisch‹ bei den ›jazzmen‹ sei, zudem auch nicht weiter verwunderlich, da diese ein Leben voller Drogen, Alkohol und Frauenbeziehungen führten. Gleichzeitig spielt er auf den Aufenthalt Parkers in einer psychiatrischen Klinik486

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Offensichtlich ist dessen Aufenthalt in der Anstalt von Camarillo, CA im Jahre 1946 gemeint.
an und nennt seinen Freund einen »chrétin«,487
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»Dummkopf«
weil er dies nicht wusste.

Laurent scheint folglich mit der Biographie Parkers bestens vertraut zu sein und verhält sich gegenüber Gérard altklug und überheblich. Bereits an dieser Stelle werden einige seiner Charakterzüge und seine musikalischen Präferenzen deutlich. Die Musik korrespondiert atmosphärisch mit der Unbekümmertheit der beiden Freunde und steht im Kontrast zur bürgerlich-spießigen Atmosphäre Dijons. Sie geht jedoch über reine atmosphärische Zutat hinaus und wird an dieser Stelle auch inhaltlich zum integralen Bestandteil (die Gespräche der Jungen, die gestohlene Schallplatte). Hervorzuheben ist abermals die Präzision, mit der Malle die Musik auf den Film montiert. Neben dem Klaviersolo, welches einsetzt, als Gérard über das am Vortag gehörte Solo von Jelly Roll Morton spricht (s. o.), beginnt das Schlagzeugsolo in dem Moment, in dem Laurent die Schallplatte stiehlt, wobei die Trommelwirbel spannungssteigernd wirken und auf Artistikkunststücke im Zirkus verweisen. Nachdem der Diebstahl geglückt ist und die beiden Jungen wieder die Straße entlang gehen, setzt das Saxophon Parkers mit der Wiederholung des Themas ein, worauf Laurent seinem Freund von der neuen Parker-Schallplatte vorschwärmt. Durch das Verwenden einer späteren Aufnahme (1952, s. o.), die Charlie Parker mit einem Quartett aufnahm (Laurent schwärmt gerade von dieser Konstellation: »Charlie Parker tout seul avec une section rythmique!«488

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»Charlie Parker spielt nur von einer Rhythmusgruppe begleitet!«
), erreicht Malle einen zeitgenössi-

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