sich nach der ausgelassenen
Stimmung am Abend des 14. Juli, des französischen Nationalfeiertages, ereignet.
Malle arbeitete während der Dreharbeiten an einem Alternativschluss, der den
Protagonisten kurz vor dem Selbstmord zeigte, was der Regisseur jedoch verwarf, da
er in diesem tragischen Schluss einen Widerspruch zum Charakter des Films
sah.453
Vgl. Mallecot (1978), S. 38
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Der Stil von Le Souffle au coeur ist von einer Frische und
Lebhaftigkeit, von einer Laurents Pubertät entsprechenden
»allégresse«454
gekennzeichnet. Malle selbst verwendet die Begriffe ›Ironie‹ und
›Zärtlichkeit‹,455
Vgl. Mallecot (1978), S. 38
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womit deutlich wird, dass bei allen Seitenhieben auf die französische Bourgeoisie der
Film nie verletzend wirkt und die leidenschaftlich zärtliche Mutter ihr Charisma auf den
ganzen Film abstrahlt. Somit wirken auch Laurents Brüder wie liebenswerte
Unruhestifter, und selbst der Vater trägt zum versöhnlichen Ende des Films bei, wenn er
als Reaktion auf Laurents Nacht mit der gleichaltrigen Daphné ins allgemeine Gelächter
einstimmt. Am Schluss ist folglich die heile Scheinwelt der bourgeoisen Familie immer
noch intakt: Laurent scheint das Schockerlebnis Inzest verkraftet zu haben
und ist »vom Knaben [. . . ] – gutbürgerlicher Auffassung nach – zum Manne
gereift«.456
Seelmann-Eggebert, Ulrich: »Herzflimmern«. In: Film-Dienst 1 (11. 1. 1972), Kritik Nr.
17653
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Die Mutter hat sich von ihrem Liebhaber getrennt und wird »die heilige Institution
Ehe«457
o. V.: »Geordnete Verhältnisse. Herzflimmern«. In: Der Spiegel 5/72, S. 111
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nicht in Frage stellen. Der Inzest schließlich, von der Mutter
als »moment unique, très beau, très grave, qui ne se produira
plus«458
Malle, Louis: Le Souffle au coeur. Paris: Gallimard 1971, S. 141 (»einzigartiger, sehr schöner
und sehr ernster Moment, der sich nie wiederholen wird«)
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dargestellt, wird diskret vor der Familie verschwiegen.
Der Film ist in vielen Aspekten die realistische Schilderung einer bourgeoisen
Familie in den frühen 50er-Jahren. Gerade durch diese Natürlichkeit, durch die
vielen kleinen Details, die Malle aus eigener Erfahrung mit einbringt, wirkt
die Handlung des Films wie »eine Geschichte, die sich jeden Tag ereignen
könnte«.459
Zum politischen und sozialen Klima der Provinzstadt Dijon trägt der historische
Hintergrund bei: Frankreich befindet sich in der Endphase des Indochinakrieges, Dien
Bien Phu ist gerade gefallen und der nächste Konflikt in Algerien steht unmittelbar
bevor. Deutlich werden diese Spannungen, die sich auch auf die Innenpolitik
beziehen (Pierre Mendès France trat als Regierungschef und Außenminister
am 18. 6. 1954 ins Amt), beispielsweise im Erscheinen der Kriegsveteranen
(Segment 26) und in den reaktionären Kommentaren des Vaters und des Onkels
am Esstisch. Die im Film verwendete Musik ist zu einem Teil eng mit den
zwei Hauptcharakteren verbunden, daher erscheint es sinnvoll, näher auf diese
einzugehen.
Laurent
Laurent ist der Protagonist des Films. Er tritt in jedem Segment auf und bildet mit seiner
Mutter die Hauptachse des dramaturgischen Geschehens. In seiner katholischen Schule ist er
Klassenbester, seine religiösen Pflichten als Messdiener erfüllt er jedoch nur widerwillig. Laurent
fällt durch ein für sein Alter überdurchschnittliches Interesse an phi-
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