- 183 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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losophischen, künstlerischen und politischen Fragen auf. Er liest Montherlant, beschäftigt sich mit Le mythe de Sysiphe von Camus und hat Poster kubistischer Maler an seinen Wänden hängen. Bei einer Demonstration von Kriegsveteranen des Indochinakrieges verteidigt er seinen Freund Michel gegenüber dessen Mutter mit den Worten: »Madame, cet enfant a le droit d’avoir des opinions politiques!«,460
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»Madame, dieses Kind hat das Recht auf eine politische Meinung!«
während er seiner Mutter vorwirft, mit einem Royalisten, dem aufgeblasenen Hubert, zu flirten. Sein sexuelles Interesse wird durch die Brüder angeregt, die ihm großspurig von Liebesabenteuern erzählen, ihn ins Bordell mitnehmen oder gemeinsam die Länge ihrer Genitalien vergleichen. Zudem gelangt er durch seine Brüder bzw. seine Mutter an erotische Literatur wie der Histoire d’O von Pauline Réage oder dem Skandalroman J’irai cracher sur vos tombes von Boris Vian. Die heile Welt, die er durch die katholische und bürgerliche Erziehung erfährt, steht im Kontrast zu den aktuellen politischen Ereignissen (s. o.) und der Scheinheiligkeit der Erwachsenenwelt, in der der Priester ihn vor ›unreinen‹ Gedanken warnt, gleichzeitig jedoch seine eigenen Triebe nicht unter Kontrolle zu haben scheint, und in der seine Mutter ihm (zunächst noch) verheimlicht, dass sie einen Geliebten hat. Den wichtigsten Platz in seinem Leben nimmt neben der Mutter seine Liebe zum Jazz ein. Dieser Aspekt ist von entscheidender Bedeutung, definiert sich Laurent doch zu einem großen Teil über seine musikalischen Präferenzen. Auf dieses Verhältnis wird an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein.

Clara, Laurents Mutter

Clara verbindet mit Laurent das Dilemma, in einer Gesellschaft zu leben, in die sie nicht recht hinein passt. Sie wirkt als freigeistige, temperamentvolle Mutter wie ein Fremdkörper in der steifen Dijonaiser Bourgeoisie. Bereits in den ersten Szenen wird ihr schwerer Stand im Hause Chevalier deutlich. Von ihren Söhnen nicht ernstgenommen und von ihrem Mann für die fehlgeschlagene Erziehung der Kinder verantwortlich gemacht, erträgt sie dieses mit italienischer Lässigkeit und unternimmt eine zeitweise Flucht aus der bürgerlichen Enge, indem sie ihren Liebhaber trifft. Dennoch kann sie sich nicht zu einem radikalen Schnitt entschließen; die Affäre mit dem Liebhaber wird beendet und die Ehe nicht aufgegeben.

  Die Musik im Film

In 34 Takes montiert Malle insgesamt 2267 Sekunden Musik, was einem Anteil von ca. 33 %, gemessen an der Gesamtlänge, entspricht. Die Musik setzt sich stilistisch aus Jazz, vorwiegend Charlie Parker (häufig von Schallplatte), Tanzmusik (beim Tanztee des Sanatoriums und Ball des 14. Juli) und einer Vielzahl von verschiedenen, direkt durch die Situation motivierten Stücken zusammen, so z. B. der Marseillaise bei der Demonstration oder dem Orgelchoral in der Kirche. Quantitativ dominiert klar der Jazz, allein die Charlie Parker-Stücke bilden mit einer Gesamtlänge von 577 Sekunden ein Viertel des Musikanteils. Die musikalische Dramaturgie des Films besteht im Wesentlichen aus der Koppelung Musik–Person bzw. Musik–gesellschaftliche Schicht und deren Institutionen.


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