0. Die Dokumentarischen SpielfilmeLe Souffle au coeur – ein (akustisches) Epochenfresko (1)Nach seinen Dokumentarfilmen Calcutta und L’Inde fantôme drehte Malle 1970 Le Souffle au coeur. Malle verlegte den Film ins Jahr 1954 und wählte als Ort der Handlung Dijon, das bereits als Kulisse für Les Amants diente. Der Film erzählt die Geschichte von Laurent Chevalier, einem 15-jährigen Jungen aus bürgerlichem Hause, der sich in der Pubertät befindet und erste Erfahrungen mit der Sexualität macht. Er steht unter dem Einfluss seiner älteren Brüder, deren chaotisches Treiben er mit einer Mischung aus Bewunderung und Neugier beobachtet, und seines Vaters, der für ihn nichts als Abweisung übrig hat. Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zu seiner sehr jungen italienischen Mutter, Clara: Mit ihr verbindet ihn eine sehr tiefe, zärtliche Liebe, die am Ende des Films – Laurent kuriert in einem Sanatorium eine Herzkrankheit aus und wird von seiner Mutter begleitet – zum Inzest führt. Dieses auch nach der sexuellen Befreiung der späten 60er-Jahre noch bestehende Tabu provozierte in Frankreich einen Skandal. Das Drehbuch wurde von der Vorzensur als »choquant«450
Der Grund, warum Le Souffle au coeur Teile des Publikums irritierte, lag in der Art der Inszenierung des Inzests: »Das große ödipale Drama hat Malle verweigert und es scheint, als wäre ihm gerade die verweigerte Befriedigung des Strafbedürfnisses einer auf dem Schuldkomplex aufgebauten Kultur verübelt worden.«452
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