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0.  Die Dokumentarischen Spielfilme

  Le Souffle au coeur – ein (akustisches) Epochenfresko (1)

Nach seinen Dokumentarfilmen Calcutta und L’Inde fantôme drehte Malle 1970 Le Souffle au coeur. Malle verlegte den Film ins Jahr 1954 und wählte als Ort der Handlung Dijon, das bereits als Kulisse für Les Amants diente.

Der Film erzählt die Geschichte von Laurent Chevalier, einem 15-jährigen Jungen aus bürgerlichem Hause, der sich in der Pubertät befindet und erste Erfahrungen mit der Sexualität macht. Er steht unter dem Einfluss seiner älteren Brüder, deren chaotisches Treiben er mit einer Mischung aus Bewunderung und Neugier beobachtet, und seines Vaters, der für ihn nichts als Abweisung übrig hat. Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis zu seiner sehr jungen italienischen Mutter, Clara: Mit ihr verbindet ihn eine sehr tiefe, zärtliche Liebe, die am Ende des Films – Laurent kuriert in einem Sanatorium eine Herzkrankheit aus und wird von seiner Mutter begleitet – zum Inzest führt.

Dieses auch nach der sexuellen Befreiung der späten 60er-Jahre noch bestehende Tabu provozierte in Frankreich einen Skandal. Das Drehbuch wurde von der Vorzensur als »choquant«450

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Prédal (1989), S. 57
eingestuft, 1973 jedoch für den Oscar für das beste Originaldrehbuch nominiert. Der Film, der den Inzest keinesfalls pornografisch darstellt, sondern den eigentlichen Akt ausspart, durfte Frankreich schließlich sogar bei den Filmfestspielen in Cannes 1971 repräsentieren. Dennoch sah er sich teilweise polemischen Diskussionen ausgesetzt.451
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Vgl. Fabre-Luce, Alfred: »Morale et cinéma«. In: Le Monde 13. 5. 1971; Malle, Louis/Fabre-Luce, Alfred: »Une lettre de M. Louis Malle et la réponse de M. Alfred Fabre-Luce«. In: Le Monde 20. 5. 1971 und o. V.: »Correspondance«. In: Le Monde 3. 7. 1971

Der Grund, warum Le Souffle au coeur Teile des Publikums irritierte, lag in der Art der Inszenierung des Inzests: »Das große ödipale Drama hat Malle verweigert und es scheint, als wäre ihm gerade die verweigerte Befriedigung des Strafbedürfnisses einer auf dem Schuldkomplex aufgebauten Kultur verübelt worden.«452

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Koch (1985), S. 90
Der gesamte Film ist von der engen Verbindung Mutter-Sohn bestimmt, und diese Vertrautheit steigert sich im Verlauf des gemeinsamen Aufenthaltes im Sanatorium. Clara erzählt ihrem Sohn von ihrer Jugend, von den Anfängen der Beziehung zu seinem Vater und lässt sich schließlich von Laurent trösten, nachdem ihr Liebhaber sie verlassen hat. Somit erscheint der vollzogene Geschlechtsakt als unspektakuläre Konsequenz der vorangegangenen Szenen, als eine maximale Intensivierung der liebevollen und freundschaftlichen Beziehung zwischen Mutter und Sohn, als eine Art Traum, der sich im Halbdunkel vollzieht, aber auch als ein Unfall, der

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