- 150 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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de conditions de vie, de climat, est un élément primordial, dans les scènes de rue par exemple. A Paris, à Londres, les sons sont feutrés, effacés ou alors noyés dans un brouhaha informe. Dans une rue de Calcutta, les sons vivent, ont une profondeur, une signification discernable les uns par les autres.«359

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Zit. n. Comolli/Narboni/Rivette (1969), S. 60 (»Ohne den ›son direct‹ wäre der Film weitaus weniger wirksam, auch weniger irreführend. Vor allem in Indien, wo der Ton aus kulturellen und klimatischen Gründen und aus Gründen der Lebensbedingungen einen wesentlichen Faktor ausmacht, in den Straßenszenen beispielsweise. In Paris oder London sind die Klänge gedämpft, erstickt oder sie gehen in einem undifferenzierten Durcheinander unter. In einer Straße Kalkuttas leben die Klänge, sie haben eine Tiefe und haben eine identifizierbare Bedeutung untereinander.«)

Zweifelsohne muss das Geräuschpanorama in einer indischen Großstadt durch die Andersartigkeit und die faszinierende Exotik einen tiefen Eindruck auf einen westlichen Filmemacher machen. Für Malle war jedoch vor allem neu, auch dann zu filmen, wenn sich auf den ersten Blick nichts ereignete, und gewissermaßen in Lauerstellung zu bleiben oder aber auch in den ›ereignislosen‹ Partien Reize zu entdecken.

Andererseits bewahrt die Verwendung von Originalgeräuschen den Film vor einer falschen Dramatisierung und einer an westlichen Werten ausgerichteten Sichtweise. Eine Szene aus Calcutta soll dieses erläutern. In diesem Segment (0:40:15–0:44:12) zeigt Malle ein burning ghat, eine Stelle mitten in der Stadt, an der Tote unter freiem Himmel verbrannt werden. Der Filmbetrachter sieht die Kremation einer Inderin, die auf einer Bahre liegend fast vollständig mit Holzscheiten bedeckt wird, so dass lediglich noch der Kopf zu sehen ist. Im Folgenden spricht (offensichtlich) der Ehemann der Verstorbenen mit einem Priester einen Gebetsspruch, bis mehrere Männer mit lauten Rufen den Scheiterhaufen entzünden. Malle filmt anschließend den brennenden Haufen, wobei man erkennt, wie die Flammen allmählich das Haar und den Kopf der Toten verzehren.

Diese Szene zeigt einen generellen Werteunterschied zwischen der Stellung des Todes in der indischen Gesellschaft und der Auffassung eines westlichen Filmbetrachters. Malle im Off-Kommentar: »Pour les Indiens, la mort n’est pas un événement dramatique. Elle n’est ni une fin, ni une délivrance.«360

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»Für die Inder ist der Tod kein besonderes Ereignis. Er ist weder ein Ende noch eine Erlösung.«
In der Tat sind die der Kremation beiwohnenden Angehörigen weder von großer Trauer noch von Abschiedsschmerz gezeichnet. Das Leben wird im Hinduismus als ein kurzer Moment des Übergangs angesehen, der sich in einen durch Wiedergeburten bestimmten kosmischen Zyklus eingliedert. Für den Zuschauer der westlichen Welt repräsentiert der Tod dagegen laut Malle ein »événement grave, théâtral, définitif«.361
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Vgl. Braucourt, Guy: »Malle des Indes«. In: Cinéma 69 135 (4/69), S. 27–31, hier S. 30 (»ein schweres dramatisches und endgültiges Ereignis«)
Durch die Geräusche und Stimmen, die die Verbrennung begleiten, wird dieses Ereignis für den (verstörten oder sogar geschockten) Filmbetrachter jedoch entdramatisiert; der Tod wird als ein in der indischen Welt familiäres und alltägliches Phänomen akzeptiert. Eine Musik (womöglich noch mit tragischem Gestus) hätte an dieser Stelle den Werteunterschied des Todes zwischen indischen und westlichen Auffassungen nur noch vergrößert, der undramatische ›son direct‹ nähert dagegen die Positionen

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