Demnach meint offensichtlich der Begriff ›mise en scène‹ im französischen Sprachgebrauch
das rein visuelle Inszenieren, nicht jedoch das Gestalten der Tonebene. Obwohl
die Stellen, an denen eine Asynchronität von Bild und Ton vorherrscht, nicht
auffallen und auch quantitativ nicht ins Gewicht fallen, seien hier zwei Beispiele
aufgeführt.
Vorspann von L’Inde fantôme (alle Teile)Im 56 Sekunden langen Vorspann
manifestiert sich das visuelle Leitmotiv der Reise: die Blicke der Einheimischen. Malle
montiert 19 Einstellungen, auf denen ein Inder (bzw. in einem Fall ein indisches
Mädchen) in die Kamera blickt. Die Einstellungsgröße reicht von amerikanisch (kleines
Mädchen) bis groß (Mann in der 19. Einstellung). Die dargestellten Personen schauen
ernst in die Kamera, nur im Falle eines Mannes scheint der Anflug eines Lächeln über
das Gesicht zu huschen. Dazu montiert Malle ein sich wiederholendes Viertaktmotiv im
5/4-Takt, welches von einem Sitar gespielt und von Perkussion (Tabla) begleitet
wird.
Geräusche sind im Vorspann nicht zu vernehmen. Während die Bilder aneinander gereiht
werden, ziehen in gelber Schrift die Credits des Films von unten nach oben über den
Bildschirm.
Durch das Aussparen der Geräusche, die gleichmäßige Musikbegleitung, die nur wenig
dynamische Veränderung in sich birgt, und das ruhige Vorüberziehen der Schrift erhält
dieser Vorspann eine beruhigende, fast hypnotische Wirkung. Hierzu tragen vor allem
die bohrenden Blicke der Inder bei. In nahezu allen Einstellungen wird die
Kamera mit stechenden Augen fixiert; bereits in dieser Szene fühlt sich der
Filmbetrachter folglich als nicht eben willkommener Beobachter einer fremden Kultur.
Gleichzeitig schaut man, angezogen von der Intensität der Blicke und der fremd
anmutenden Musik, die gleichsam rituellen Charakter hat, gebannt auf die Gesichter.
Malle überträgt hier seine eigenen Erfahrungen mit der indischen Welt auf den
Filmbetrachter. Wie der Regisseur wird auch der Zuschauer sowohl visuell als auch
auditiv mit der Faszination der fremden Kultur konfrontiert, wobei er in
|