- 71 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Die inneren und äußeren Strukturen des Kunstwerks, sein kommunikativer Zusammenhang, seine historische Stellung und seine demonstrative Form sind nicht unabhängig von der Organisation der Materialebene zu denken. Andererseits erhält diese Materialebene erst im Zusammenspiel mit den übrigen Aspekten, insbesondere den syntaktischen und semantischen, ihre endgültige Differenzierung. Das reicht in Partita von der äußersten Formbestimmung als Reihungsform und in ihren Anklängen an Bach-Partiten bis in die innerste Formung eines einzigen Klangs aus dem Prinzip der in die Zeit gestreckten Analogie.

Gleich der Struktur unseres Gedächtnisses, in dem die Vergangenheit immer neu sich in Abhängigkeit von der Intensität der Gegenwart zurückziehen muß, wenn auch manches länger nachklingt, in dem die Formen der Vorstellung immer schon Formen der Erinnerung sind, ist die äußere Struktur von Partita ein Ritardando von der Vergangenheit bis zum Augenblick "jetzt", allerdings gerastert nicht durch die gestaltpsychologischen Wahrnehmungseinheiten von ca. vier Sekunden, sondern durch den gesetzten Abstand der Tonköpfe der Maschinen von 3,80 m, also 10 Sekunden.

Schon in Stockhausens Mikrophonie I läßt sich beobachten, daß ein komplexes System interaktiver Beziehungen der musikalischen Ebenen und der Spieler einen höheren Grad an Expressivität möglich macht: Gewalt, die den Hörer andernfalls brutal überfallen würde (wie bei den "Einstürzenden Neubauten" oder ähnlichen Formationen), wird durch ihre Einordnung ins ästhetische System gleichsam ihrer Unmittelbarkeit beraubt und als künstlerisches Ausdruckmittel, das durchaus noch Furcht und Schrecken einjagt, verfügbar.


     Klangbeispiel:      Hochtöner für Flöte, Viola, Schlagzeug, Synthesizer und                Tonband (1974) Klangbeispiel online


Die Komposition entstand im Auftrag von Radio Bremen, das Tonband ist eine Realisation des Kölner FEEDBACK STUDIO. In der Komposition treffen sich verschiedene Entwicklungslinien, die meine Arbeit bestimmen: die Auseinandersetzung mit der eigenen kompositorischen Geschichte und mit der Musikgeschichte, das Phänomen der Akkulturation und Intermodulation von musikalischen Elementen aus verschiedenen Epochen und Kulturkreisen, eine Theorie der Tonsysteme und eine allgemeine Harmonik, deren Diskussion hier zu weit führen würde.

Ich will nur die Elemente beschreiben, die mit dem Phänomen der Live-Elektronik direkt zusammenhängen: Neben dem Zuspieltonband wird der Synthesizer auch live eingesetzt, insbesondere als Möglichkeit, die Klänge von Flöte und Viola miteinander zu ringmodulieren. Der Ringmodulator liefert von zwei Eingangsfrequenzen die Summen und die Differenzen (sowie das Produkt der eingegebenen Amplituden). Das führt zu einer verfeinerten metatonalen Harmonik. Konsonanz und Dissonanz erscheinen in einem sozusagen tieferen tonalen Raum, der immer ein obertöniger, also ein "Dur"-Raum ist. Diesem wird ein subharmonischer "Moll"-Raum gegenübergestellt, erzeugt durch die Technik eines Frequenzteilers. Die Mikrophonierung aller


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