- 298 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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          gutem Handwerk und schlechter Industrie, von guter Natur und unnatürlicher Technik,           von gutem Menschen und inhumaner Maschine.

          Für die Musik sei daran erinnert, daß sich das bürgerliche Musikleben ohne technische           Verfahren wohl kaum in gleichem Umfange hätte entwickeln können - man denke nur           an die zunehmend in Großserien aufgelegten Orchesterinstrumente - gar nicht zu reden           von der Fabrikation und massenhaften Verbreitung von Tasteninstrumenten (Klavier /           Harmonium).

2.     Aus der Fülle von Einflüssen auf das Verhältnis von technischen Medien und           Musikpädagogik soll hier nur ein einzelner Zusammenhang herausgegriffen werden, der           allerdings die gesamte Zeitspanne von der Jahrhundertwende bis in die 60er Jahre           betrifft - und der indirekt auch heute noch wirksam ist. Es geht um geistige           Bewegungen, die pauschal mit den Stichworten "Jugendbewegung" und "Musische           Bildung" bezeichnet werden sollen.

          Als um die Jahrhundertwende die Jugendbewegung "in den Wald" ging, um gegen die           eingefahrenen Routen des bürgerlichen Lebens zu protestieren, gehörte zu ihren           Grundüberzeugungen auch die Ablehnung all dessen, was als "unnatürlich" galt. So           lehnten viele Vertreter der Jugendbewegung das Virtuosentum im bürgerlichen Konzert           ebenso ab wie das Klavier als Symbol des bürgerlichen Hausstandes. Sie verfolgten ein           völkisches Gemeinschaftsideal, das den Individualismus für ebenso gefährlich hielt wie           eine durch die Industrieproduktion geförderte Massenkultur, "Industrie-Proletarisierung"           genannt.

3.     Bedenkt man, daß aus der Jugendbewegung - und später aus der           Jugendmusikbewegung -

Die Jugendmusikbewegung betrachtete die in der Jugendbewegung übliche Musizierpraxis

 allenfalls als unkünstlerische Vorstufe dessen, was sie selbst anstrebte. Sie bevorzugte

 Kompositionen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ebenso wie die Werke solcher

 Komponisten, die der Jugendmusikbewegung nahestanden. Innerhalb der

 Jugendmusikbewegung gab es Gruppen, die die Möglichkeiten technischer Medien

 durchaus erkannten, z.B. Fritz Jöde, der sich besonders für die unterrichtliche

 Verwendung der Schallplatte einsetzte.


          Generationen von Lehrern hervorgegangen sind, dann wird deutlich, welche           Widerstände gegenüber technischen Medien zu überwinden waren. Als im Rahmen der           Kestenberg-Reform in den 20er Jahren aus dem Gesangsunterricht Musikunterricht           geworden war, ergaben sich - vor allem für die fachlich wenig vorbereiteten           Volksschullehrer - neue Aufgaben im Bereich des Musikhörens und der           Werkbehandlung. Für den künstlerisch vorgebildeten Gymnasiallehrer änderte sich           vorerst allerdings wenig, da er die notwendigen Hörbeispiele auf dem Klavier darstellen           konnte und sollte.     

Von hierher ist übrigens auch die gelegentliche Überbetonung des Klavierstudiums bei

 Schulmusikern zu erklären. Noch bis zum Ende der 50er Jahre konnte die Staatsexamens-

Gesamtzensur eines Schulmusikers nicht über derjenigen für Klavier als Pflichtfach liegen!

 Der Wunsch von Studenten, vorhandene Schallplatten abhören zu können, wurde mit dem

 Hinweis auf die vorhandenen Partituren beschieden. Einen Zugang zu

 Studioeinrichtungen gab es für Schulmusiker nicht, und sie gibt es an

 einigen Hochschulen auch heute noch nicht.


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