- 15 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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der Religion, der Politik und den Künsten (...) Im Verhältnis zu Dingen wie Steinen und Sternen ist der Mensch wie ein Gott.

Vilém Flusser, a.a.O., S. 256


Technologie ist so ein nicht "interessierendes Außen", das wir im Bestreben, es als Kunstwerk zu kultivieren, uns anzunähern suchen. Aber die historische Distanz läßt sich nicht mehr ignorieren. So kommen bis heute viele technische Neuerungen direkt aus der Kriegsforschung, lassen sich die Grenzen und Wechselbeziehungen zwischen beiden Anwendungen immer schwerer differenzieren. Es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Oberflächenabtastung einer akustischen Wellenform durch ein Sampling-Programm und der einer Landschaft durch eine Cruise-Missile (wobei das Prinzip von einem französischen Arzt entwickelt wurde, der die Lungenoberfläche auf Krebsgeschwüre abtasten wollte!).

Das Maschinenideal der späten bürgerlichen Gesellschaft wurde der selbsttätig komponierende

Apparat. In ihm wäre nicht nur der bloße Stand der menschlichen Fähigkeiten, sondern deren Weiterentwicklung, die Utopien und Wünsche mit vergegenständlicht. Sie wären unser Maß, an dem wir selbst uns messen könnten. Geschichten wie die von Walter Benjamin über einen Schach spielenden Automaten (der sich hier allerdings als Trick entlarvt) zeigen, wie tief verwurzelt diese Vorstellung in unserer Kultur ist. Die ersten euphorischen Berichte über die "Erfindung" der elektronischen Musik und neuer "wissenschaftlich-objektiver" Kompositionsverfahren in den 50er und 60er Jahren belegen, daß es eine solche Traditionslinie gerade auch in diesem Bereich gegeben hat (vgl. etwa die Arbeiten von Joseph Schillinger und Herbert Eimert).

Die Anstrengungen der Künstlichen-Intelligenz-Forschung, die Entwicklung sogenannter

Expertensysteme und die wieder einmal modische Mystifizierung neuer Technologien demonstrieren die anhaltende Aktualität dieses Denkens.


Wenn die Menschen - wider jede Einsicht - von genialen und schöpferischen Maschinen träumen, so weil sie an ihrer eigenen Schöpferkraft verzweifeln oder weil sie es vorziehen, sich ihrer Schöpferkraft zu entledigen, um sie erst vermittelt durch Maschinen auszuüben und zu genießen. Denn was diese Maschinen bieten, ist zuvörderst das Schauspiel des Denkens, und im Umgang mit ihnen frönen die Menschen lieber dem Schauspiel des Denkens als dem Denken selber (...) Nicht umsonst nennen wir sie virtuelle Maschinen: denn sie halten das Denken auf immer in der Schwebe im hypothetischen Anspruch auf ein totales Wissen. Der Akt des Denkens ist dabei ins Endlose hinausgezögert.

Jean Baudrillard, Videowelt und fraktales Subjekt, Berlin 1989, S. 261


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