- 106 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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entsprechende psychologische Mechanismen der Musikwahrnehmung zu erklären. Es bestand also die Wahl zwischen Forschungen, die den naturwissenschaftlichen Standards genügten, aber das musikwissenschaftliche Erkenntnisinteresse nicht befriedigten und der Untersuchung komplexer musikalischer Strukturen unter Preisgabe dieser Standards.

Seit dem Ende der sechziger und dem Beginn der siebziger Jahre versuchte man jedoch, den wissenschaftlichen Charakter musiktheoretischer Forschungen anzuheben, indem man sich verstärkt formalen Modellen musikalischer Strukturen zuwandte (vgl. Schneider / Seifert 1986; Vecchione 1990). Unterschiedliche Forschungsstrategien bildeten den Ausgangspunkt der Untersuchungen: In der von der Linguistik beeinflußten Musikforschung spielte das Konzept der Grammatik eine zentrale Rolle (Baroni / Callegari 1982).

Hierbei war nicht so sehr, wie fälschlicherweise oft zu hören ist, die Analogie von Sprache und Musik motivierend, sondern die Erfolge der generativen Transformationsgrammatik Noam Chomskys, durch welche die Linguistik zum Vorbild wissenschaftlich-exakter Begriffsbildung in den Geisteswissenschaften wurde. Auch die spekulativen Aussagen, in denen Grammatiken als mentale Repräsentationen bestimmter kognitiver Bereiche angesehen wurden, und die Verlockung, durch die Untersuchung von Grammatiken kognitive Universalien zu finden, könnten die Popularität dieses Ansatzes begünstigt haben.

Die semiologische Symbologie von Jean-Jaques Nattiez (1987) stellt einen weiteren, besonders in den frankophilen Ländern bekannten Versuch dar, der musiktheoretischen Forschung neue, wissenschaftlichere Impulse zu geben. Andere, am amerikanischen Wissenschaftsverständnis orientierte Forschungen gingen von Rudolf Carnaps Konzept der Begriffsexplikation aus und versuchten, traditionellen musiktheoretischen Konzepten durch Begriffsexplikation, d. h. Überführung und Interpretation in ein formales System, Klarheit zu geben. Rudolf Wille und Winfried Neumaier (1989) entwickeln und fordern z. B. für die Musiktheorie eine extensionale Standardsprache (innerhalb des Prädikatenkalküls).

Auch die Untersuchungen, welche traditionellen musiktheoretischen Konzepten durch Implementierung in einem Computerprogramm (vgl. Rothgeb 1980 oder die Arbeiten von Stephen Smoliar, um nur einige zu nennen) eine gewisse begriffliche Schärfe geben, sind hinlänglich bekannt und bilden eine weitere Strategie, Musiktheorie den Standards wissenschaftlicher Theoriebildung anzunähern.

Eine originäre Musiktheorie dodekaphonischer und atonaler Musik, die mengen- und gruppentheoretische Konzepte zur Darstellung nutzt, nahm ihren Ausgangspunkt von den Arbeiten Milton Babbitts und Allen Fortes (vgl. zur atonalen Theorie Rahn 1980). Es ließen sich noch andere Arbeiten hinzufügen, die allerdings den folgenden zuvor genannten fünf Richtungen zugeordnet werden können:

-     linguistisch-grammatisch (e.g. Baroni / Callegari 1982)

-     semiotisch-semiologisch (e.g. Nattiez 1987)

-     logisch-mathematisch modellierend-erklärend (e.g. Neumaier 1989)


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