- 105 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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(vgl. die Diskussion zwischen Albert Wellek und Walter Wiora; hierzu auch Seifert 1993, S. 21-26). Der wissenschaftliche Charakter musiktheoretischer Forschung ist im Vergleich zu anderen Disziplinen bisher immer wieder angezweifelt worden: Unexakte Begriffsbildungen, das Fehlen empirisch-experimenteller Forschungen und damit verbunden ein Mangel an intersubjektiver Überprüfbarkeit wurden ebenso kritisiert wie deren mystifizierende Erklärungsprinzipien (man denke an die Musikkonzeptionen Ernst Kurths und Heinrich Schenkers).

Der Mangel an Wissenschaftlichkeit wurde und wird besonders von Musikern und Musikwissenschaftlern mit dem Argument gepflegt, daß Musik von Natur aus wandelbar und kreativ sei und somit ihre Theorie den wissenschaftlichen Standards der Objektivität, Überprüfbarkeit und Vorhersagbarkeit per se nicht genügen könne (vgl. Brown / Dempster 1989, S. 66 ff). So verwundert es denn auch nicht, daß der an mathematisch-naturwissenschaftlichen Standards geschulte Psychoakustiker Ernst Terhardt (1986, S. 107) zu Recht folgendes Verdikt über die gegenwärtige Musiktheorie fällte:


Gegenwärtig ist eine gewisse Unzufriedenheit und Skepsis gegenüber der Musiktheorie zu beobachten. Komponisten und Musiker sehen in ihr ein Hilfsmittel und Werkzeug und stellen immer wieder fest, daß dasselbe ihren Wünschen und Vorstellungen nicht in ausreichendem Maße gerecht wird. Die Wissenschaftler andererseits haben Vorbehalte, weil die Musiktheorie gewissen anerkannten Kriterien naturwissenschaftlicher Theorien kaum standhält. Angesichts dieses Standes der Musiktheorie erscheint es wenig aussichtsreich, dieselbe dadurch voranbringen zu wollen, daß man vorbehaltlos mit hergebrachten Ansätzen und Methoden weiterarbeitet.


Ernst Terhardt unternimmt eine kritische Revision musiktheoretischer Forschung vom Standpunkt der Psychophysik aus. Jedoch waren gerade die tonpsychologischen Forschungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts an den Methoden und Zielen der Psychophysik ausgerichtet, die zusammen mit statistischen Forschungsansätzen den wissenschaftlichen Charakter der Psychologie garantierten.

Im Zuge der Etablierung der Systematischen Musikwissenschaft in Deutschland, die sich am Vorbild naturwissenschaftlicher Theoriebildung orientierte, knüpfte man an diese Forschungen (z. B. Husmann, Reinecke etc.) an, und war dabei allerdings der berechtigten, wenn auch etwas pointierten Kritik historisch denkender Musikwissenschaftler wie Georg Feder (1980) ausgesetzt, die in diesen Forschungen auf musiktheoretischem Gebiet nichts anderes als eine Residualwissenschaft sahen (vgl. Dahlhaus 1971).

Die Untersuchung der Reaktionen von Probanden auf einfache Stimuli, wie sukzessiv oder simultan erklingende Sinustöne, erschien in den Augen musikhistorischer Kritiker nicht geeignet, komplexe Strukturen, wie sie bei Musikwerken vorliegen und die den Forschungsgegenstand der Musikwissenschaft bilden, zu erhellen oder gar


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