- 102 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Musikwissenschaft besteht aus drei größeren Teildisziplinen, die durch ihren methodologischen Ansatz und einige generelle Arbeitshypothesen bezüglich des Menschen und der Kognition verbunden sind: die strukturelle oder allgemeine Musikologie, die Psychomusikologie und die Neuromusikologie.

In diesem Zusammenhang wird, beeinflußt von der Informationstechnologie, der Mensch ebenso wie der Computer als informationsverarbeitendes System betrachtet. Die der Kognitionswissenschaft zugrundeliegende allgemeinste und sehr abstrakt gehaltene Annahme ist, daß sich das Phänomen der Kognition - der Prozeß von Empfinden, Wahrnehmen, Denken und Handeln - als Errechnung (computation) präzisieren läßt (näheres vgl. Seifert 1993). Der Begriff der Errechnung findet seine vorläufige und unter Annahme von Church's These sogar seine definitive Erklärung durch das Konzept der Turing-Maschine bzw. das Konzept der Klasse der effektiv berechenbaren Funktionen oder anderer formal äquivalenter Konzepte. Erkenntnistheoretisch handelt es sich dabei um die Annahme des logischen Mechanismus, daß alle natürlichen Funktionen des Menschen wie Wahrnehmen, Denken, Erkennen etc. auf abstrakter Ebene mit den Mitteln der Automatentheorie untersucht werden können und der Mensch sich wissenschaftlich als ein (abstrakter) Automat beschreiben läßt.

Es ist jedoch zu beachten, daß die These des logischen Mechanismus den Ausgangspunkt der kognitionswissenschaftlichen Forschungen und nicht das Resultat der Forschungen bildet. Es handelt sich also um eine Arbeitshypothese von großer Plausibilität. Auch steht wissenschaftlich nicht die m. E. zu Unrecht vieldiskutierte Frage im Vordergrund, ob Maschinen denken könnten, sondern das wissenschaftlich viel interessantere und fruchtbarere Problem, inwieweit es möglich ist, psychische Phänomene - speziell geisteswissenschaftliche Problemstellungen - unter Annahme dieser These wissenschaftlich-exakter Forschung zugänglich zu machen: den menschlichen Geist in seiner Funktionsweise als (abstrakten) Automaten zu betrachten. Wie schon erwähnt, kann die Klasse der effektiv berechenbaren Funktionen durch das Konzept der Turing-Maschine expliziert werden. Bei der Klasse der effektiv berechenbaren Funktionen handelt es sich weiterhin um die Funktionen, die physikalisch realisiert werden können, d. h., im Prinzip kann für diese Funktionen eine (physikalische) Maschine konstruiert bzw. angegeben werden, welche für die Argumente der Funktionen rein mechanisch die entsprechenden Funktionswerte liefert.

Durch die Ergebnisse von McCulloch / Pitts (1943) und Kleene (1956/1974) ist die Beziehung zwischen den formal-syntaktischen Operationen der (abstrakten) Turing-Maschine, der (physikalischen) Maschine - dem Computer - und dem menschlichen Gehirn hergestellt worden. Beide (physikalischen) Maschinen - Gehirn und Computer - sind im Prinzip in der Lage, die gleiche Klasse von Funktionen zu berechnen, d. h., wenn der Computer bestimmte Berechnungen durchführen kann, dann kann der Mensch bzw. dessen Gehirn diese ebenfalls durchführen. Mathematisch-logische Relationen werden also vermittelt durch das Konzept des (abstrakten) Automaten zu physikalisch-kausalen Relationen in Beziehung gesetzt.


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