Deutung aus einer bestimmten geschichtlichen Situation
heraus.“
28
Ein Spiel mit der Differenz nimmt seinen Zeit beanspruchenden Lauf, bei dem
der abwesenden Bedeutung Präsenz verliehen werden soll und doch nur deren
Absenz durch Nichteinlösung und eine Differenz bestätigt wird. Und das meint:
Einen autoritativen, mit sich selbst identischen Urtext gibt es nicht und gab es
auch nie, sondern es gibt seit jeher nur Text im Gewebe von Differenzen. Der
musikalischen Darstellung des abstrakten Notats schwingt somit die Vorstellung des
Interpreten mit, der in der Präsentation die Bedeutung verschiebt. Eine jede
Interpretation setzt – produziert – eine neue Differenz. „Der interpretatorische
Pluralismus, dem der heutige Musikfreund, besonders im riesigen Angebot der Medien,
begegnet, zwingt ihn zu der Einsicht, daß jeder Text unendlich verschieden lesbar
ist.“
29 Die
Rückbesinnung auf das Notat, auf das, was geschrieben steht, ist so ein Vorgriff auf eine
Welt unverwirklichter Bedeutungsfülle signalisierender Möglichkeiten, die zu aktualisieren
sind. Da der Text unaufhörlich wächst und Bedeutung im Zeitgeistspiel der Differenz sich
unaufhörlich verschiebt, kommt Zender zu dem Schluß: „wir suchen Komplexität und
Mehrdimensionalität.“
30
Gedächtnisspuren im Medium des Vergessens
Die neue Medienordnung lässt im Zuge der Beschleunigung von unterscheidungsleitenden
Operationen und dem Demokratisierungsprozess von Zugriffsoptionen ein Bewusstsein für
die Kontingenz von Werten entwickeln und trägt den Gedanken der Mehrdimensionalität
selbstbewusst in sich.
Mehrdimensionale Momentformen entwerfen sich im Netzwerk der losen Kopplungen
und sind Ergebnis von aus allen Richtungen kommenden und weisenden, mannigfaltigen
Verknüpfungen, die auf Zeit bestehen. Konkretisieren wir das noch einmal am Beispiel
von resrocket.com und mit einem Zitat aus der Zeitschrift Keys, in der es heißt:
„Plötzlich erscheint wie von Geisterhand ein erstklassiger Gitarrenpart als Audiodatei in
ihrem VST, gestiftet von einem freundlichen Australier, der Ihren Song aufgerufen hat
und von Ihrer Grundidee inspiriert wurde. Dann meldet sich im Chat-Fenster ein
Musiker aus Timbuktu und sagt, dass er einen Drum-Loop habe, der prima zur Bridge
passen könnte – zack, eine Minute später erscheint das Sample in ihrem Arrangement.
Davon sind Sie so begeistert, dass Ihnen eine 1a-Hook-line einfällt, die Sie auch
gleich hochladen. Ihre beiden Mitmusiker sind außer sich vor Begeisterung,
wie Sie dem Chat-Fenster entnehmen – die Internet-Jam-Session ist im vollen
Gange.“31
Bei aller überschäumenden Begeisterung stellt sich die Frage, wer hat die Musik
eigentlich komponiert, denn der Spaß hört bekanntlich dort auf, wo Tantiemen plötzlich
fließen sollen und eine personale Adressierung notwendig wird? Dabei ergibt sich aber
ein Problem, denn von einem Stück kann ja im Grunde nicht die Rede sein und selbst
wenn individuelle Zufriedenheit sich einstellt und das Ergebnis für beendet erklärt wird,
muss die Zufriedenheit an anderer Stelle ja nicht währen und kann für die anschließende
Weiterarbeit gesorgt