- 64 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (63)Nächste Seite (65) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

tion, da der wandelnde Kontext, in dem zu Bedeutendes von Moment zu Moment jeweils steht, den Wert bestimmt. So bleibt eine jede Deutung nur als flüchtige Spur präsent und ist nicht festzumachen, denn sie verweist stets auf anderes, was Derrida mit dem Neologismus der differance im Unterschied zur difference auszudrücken versuchte (und damit eine weitere umfangreiche wie unabschließbare Spurenlese auf Zeit in Gang setzte). „Die differance bewirkt, daß die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist, wenn jedes sogenannte gegenwärtige Element, das auf der Szene der Anwesenheit erscheint, sich auf etwas anderes als sich selbst bezieht, während es das Merkmal (marque) des vergangenen Elements an sich behält und sich bereits durch das Merkmal seiner Beziehung zu einem zukünftigen Element aushöhlen läßt, wobei die Spur sich weniger auf die sogenannte Gegenwart bezieht, als auf die sogenannte Vergangenheit, und durch eben diese Beziehung zu dem, was es nicht ist, die sogenannte Gegenwart konstituiert.“21
21
Derrida, Jacques: Die differance. In: Engelmann, Peter (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1990, S. 91

Im Bewusstsein um ein unabschließbares Spurenlesen und im Bewusstsein um eine Vergangenheit wie Zukunft vereinnahmende, ausgedehnte Gegenwart, das ‚global-player‘ im Netz implizit auszeichnet, mag sich wohl auch ein Unterschied zur Neuen Musik der Moderne andeuten. Schließlich verstand diese sich noch fortschrittlich teleologisch. Von dieser Idee der Progression hat sich die Kunst des Netzes verabschiedet. An ihre Stelle ist die stete, rekursiv verfahrende evolutive Verwandlung getreten, die den Gedanken an eine zukunftsweisende Idealität nicht mehr in sich trägt. Und schließlich: Wohin auch sollte der grenzerweiternde Schritt in unbekannte Gefilde, die weiterführen, auch gesetzt werden, wo die Grenze mit dem Schweigen und dem Rauschen darin längst markiert und erreicht ist? Potentiell ist hier ja alles Musik. Mit dem Erreichen der Grenzsteine der Musik ist aber nicht Verzicht geübt auf neue musikalische Gestaltwerdungen und kein Stillstand beschrieben. Nur bewegt sich das Neue nicht mehr auf ein Ziel hin, sondern wie Luhmann bildhaft ausdrückt, die Kunst „kann weiterhin bewegt werden – wenn nicht wie ein Fluß, so wie ein Meer.“22

22
Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft, a.a.O., S. 480
In die auf- und abwogende Breite bewegt sich also die Musik mit der Aufgabe einer finalistisch motivierten Musikvorstellung, und Musik kann in eine neue komplexe Vielfalt münden, da Entwicklung in alle Richtungen hin möglich ist, ohne von einer prominenten Zielvorstellung von vornherein vom Ausschluss bedroht zu sein. Neues ergibt sich unmittelbar aus den durch die Zufallsbekanntschaften im Netz verfügten Kopplungen des schon Bekannten, für das Angeschlossene einen bemerkenswerten Sinn entwickeln. Das Gewohnte aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen, darauf kommt es an, wobei der Zufall zur maßgeblich die neuen Ordnungen gestaltenden Größe gerät. Der Zufall, den Cage noch mit dem Würfel- oder Münzenfall in die Musik einzubringen suchte, ist in Gestalt anderer ‚global-player‘ gegeben, weil in diesem globalen Spiel ohne Bühne jeder jedem zu jeder Zeit irgendwie ins Handwerk ‚pfuschen‘ kann, was dem ganzen Tun eine unvermutete, neue Richtung geben kann. So gerät in den Blick, dem bislang der Aufmerksamkeit entzogen war. Während es ehedem im geschlossenen Kunstsystem „irgendeine Autorisierung [braucht], durch Cage zum Beispiel, um kenntlich zu machen, daß es sich um Musik handelt“23
23
Ebd., S. 478
, ist mit dem Auswandern

Erste Seite (1) Vorherige Seite (63)Nächste Seite (65) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 64 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music