- 62 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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einem noch größeren Problem, wenn noch nicht einmal eine Vorstellung davon zu haben ist, wonach zu suchen ist, in welche Richtung der Perspektivwechsel auch noch erfolgen könnte, welcher Art die Alternative sein könnte. Ersetzt man nun die vorgestellte Bildwelt junge Frau mit der traditionellen Musikwelt der Werke, die so-und-nicht-anders begründet werden, und transformiert die alte Frau in die Vielfalt zum möglichen Anderssein, zeigt sich, dass die sicher geglaubte Musikwelt ein reines Konstrukt ist.

Die musikalische Erscheinungsform ist so das Ergebnis der Anfangsunterscheidung und daran gemessen und nicht gemessen und bewertet an einer Form, die sui generis irgendwie existent wäre.

Die Entwicklung der neuen Medienmusik ist daher auch von Verlustbeschreibungen begleitet, und in der Tat geht etwas verloren, nämlich die Vorstellung von einer idealen Form, die zum Vergleichsmaßstab für Musikwerdungen gerinnt. Mit dem vorgestellten Ideal ist das je Realisierte dann zu bewerten. Dabei wird – bildhaft gesprochen – das Material der Musik quasi in eine Form gegossen, und je nach dem, wie gut dabei gearbeitet wurde, entspricht die Materialformung annähernd der Idealvorstellung, ohne allerdings diesen Anspruch je ganz erfüllen zu können. Das ist das unaufhebbare Dilemma zwischen Idealität und Realität. Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit es erneut zu versuchen, und so gründet der Glauben an den Fortschritt in dem Glauben an eine vorbildhafte ideale Form, die so und nicht anders gegeben ist, zu verwirklichen bzw. freizulegen ist. Der Wert der verwirklichten Kunst errechnet sich aus dem Abstand, der zwischen Realität und veranschlagter Idealität bestehen bleibt. Alle Musikwerdungen ihrer Zeit werden so an Formidealen gemessen, welche wiederum für die absolute musikalische – wenn man so möchte – Weltformel, die dann die Wahrheit spricht, zur Weiterentwicklung anstehen. Mit der Auflösung dieser Formvorstellung in Netzwerkkopplungen, bei der Form als ein festgefügtes Werte diktierendes Etwas verstanden wird, ist ein Gewinn und Mehrwert zu verzeichnen, denn neben die vertrauten Musikwelten treten die widersprüchlichen Neuschreibungen von Musik. Verloren geht dabei nicht die traditionelle Musikwelt, die unbenommen ohne Verlust weiter gepflegt werden kann, sofern dies nur gewollt ist, verloren geht aber wohl der Anspruch der Exklusivität, Instanzen setzen zu können, die über Gelingen oder nicht einer Kunst entscheiden, da der dabei zugrunde gelegte Formbegriff kein objektives Etwas mehr beschreibt, auf das zu beziehen wäre, sondern als Variable und Zeiterscheinung erscheint. Form, das ehedem als etwas Festgefügtes verstanden war, erweist sich in seinem Sein als grundsätzlich instabil, verflüssigt durch in der Zeit erfolgenden Unterscheidungen. Die Operation des unermüdlich eingreifenden Differenzierens ist dann – wie Luhmann mit Heider deutlich gemacht hat – die Form, welche sich als flexibel zeigt und keineswegs als statisch. Die Entfaltung von Horizonten schreitet voran, die mit je dem neu aufscheinenden Horizont neu fragen lässt, aber nicht die Verengung auf das angenommene Ideal der formvollendeten Regel mit sich führt, die keine Frage offen lässt.

Natürlich kann man weiter – wie gewohnt – Zusammenhänge in Musik suchen und diese für notwendig erachten. Man kann aber – mit der Verabschiedung eines solchen Absolutheitsanspruches – es auch bleiben lassen und andere Zusammenhänge stiften und das ohne schlechtes Gewissen, wo nichts an sich etwas bedeutet und


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