- 61 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Alternative getroffen. Zu sehen im Bild ist immer nur die eine oder andere Möglichkeit. Dabei ist das in dem ein wie anderen Falle Ausgeschlossene zugleich aber eingeschlossen, da sich beide identifizierten Gestaltwelten der gleichen rauschenden Materialwelt bedienen und diese sich nur jeweils im Moment anders qualifiziert darstellt. Erkennen ist somit immer das Ergebnis einer Handlung. Wenn der Beobachter mit Blick auf das Bild sich bspw. für die Gestalt junge Frau entschieden hat, werden alle weiteren Beobachtungen (kleine Nase, zierliches Ohr etc.) die Information junge Frau zu bestätigen suchen und so die erkannte Gestalt beweisen wollen. Solange das funktioniert, besteht überhaupt kein Grund an der Erstinformation zu zweifeln. So wird die Anfangsunterscheidung durch alle Folgeoperationen durchdekliniert. Der Beobachter ist praktisch blind für die Möglichkeit alte Frau, da ja jeder weitere erbrachte Beweis die unterschiedene Information junge Frau bestätigt, sodass mit Niklas Luhmann zu sagen ist: „Beobachten benutzt die eigene Unterscheidung als seinen blinden Fleck. Es kann nur sehen, was es mit dieser Unterscheidung sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann.“19
19
Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Ffm 1992, S. 85
Mit der Wahl der Unterscheidung ist der beobachtete Gegenstand schon im Vorfeld einer Beobachtung notwendigerweise bezeichnet und Erkenntnis eine aus dem Kontext der Unterscheidung abgeleitete, also eine vom Unterscheidungen treffenden Beobachter vorgegebene.20
20
Vgl. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Ffm 41993, S. 596f.
Eine andere Unterscheidung/Bezeichnung ergibt zwangsläufig eine andere Beobachtung und Erkenntnis. Je genauer nun beobachtet werden soll, um so stärker wird die Welt nach den Informationen selektiert, die der Beobachter in der Welt erkennt, indem er sie durch seine Unterscheidung in die Welt setzt. Sein Einfluss auf die Gestaltwerdung nimmt zu. Heisenbergs Unschärferelation gründet in eben diesem Phänomen. Je genauer die Beobachtung sein soll, um so größer ist der Einfluss des Beobachters auf das beobachtete Phänomen. Es zeigt sich folglich: Der Blick auf die Welt ist mit einer konstruktiven, einer künstlerischen Tätigkeit verbunden, und Musikwissenschaft wäre die Kunst, die Welt der Musik nach Maßgabe eines Beobachters plausibel im Modell darzustellen. Die graduelle Funktionstüchtigkeit der eigenen Modellwelt ist es aber auch, die den Zweifel an der eigenen – im Grunde – Wahrsagerei überhaupt nicht aufkommen lässt. Und ohne begründeten Zweifel besteht überhaupt kein Anlass zu einem Perspektivwechsel, mit dessen Hilfe die Modellalternative aufscheinen könnte. Mit anderen Worten: Die sorgfältig aufgezeigten Zusammenhänge einer Musik sind dann Ergebnis der Erstunterscheidung – sagen wir – autonomes Werk, die in die weiteren Untersuchungen hineinkopiert und weiter ausdifferenziert und bestätigt wird, wobei für die möglichen Alternativen kein Blick und Sinn mehr entwickelt wird.

Noch einmal soll zwecks Plausibilisierung auf das Umschlagbild alte Frau/junge Frau bezogen werden. Obwohl beispielsweise mit Blick auf dieses Bild zu wissen ist, dass das Bild mit einem Trick arbeitet und eine Alternative bereithält, fällt es sicherlich dem ein oder anderen schwer, sich dieser alternativen Sichtweise zu öffnen. Zu stark ist der Eindruck des einmal Erkannten, von dem schwer zu lösen ist. Nun entspricht die rauschende Welt nicht nur einem schlichten Umschlagbild mit zwei Erscheinungsmöglichkeiten, sondern ist komplex, sodass die Erscheinungen in alle möglichen Richtungen weisen können. Die Welt alternativ zu betrachten gerät zu


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