- 56 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Dieses Verstehen einerseits und das Nichtverstehen andererseits lässt sich aber auf Gründe zurückführen, da Publikum wie Künstler sich nicht zuletzt unterschiedlichen Systemen verbunden fühlten: die einen dem System der Kunst, wo alles aus dem Beschreibungshorizont des Künstlerischen qualifiziert wird, und der Rest der Gemeinschaft, der in der Umwelt dieses Systems kreist und mit anderen Systemordnungen sich strukturell gekoppelt zeigt, zu verstehen sucht und doch kaum verstehen kann, wo andere Unterscheidungs- und Beschreibungskriterien gelten. Im Verbundsystem Kunst ist die Kommunikation allein auf die Unterscheidungsleistungen der Kunst gezwungen, und daher oszillieren potentiell alle Ereignisse im Horizont dieser selbstbezüglichen Sinnwelt. So kann hier zum informativen Thema (Fremdreferenz) geraten, was in der Umwelt des Systems sonst der Mitteilung (Selbstreferenz) nicht wert ist. Denken wir hier nur an das reine Rauschen, das jenseits des Kunstsystems mit Störung oder Lärm gleichgesetzt wurde, von Cage aber zur Musik erhoben wurde. Eine solche Alltagsmusik konnte folglich nur im Kunstsystem nobilitiert werden, wo allein im geschützten Raum des geschlossenen Systems Umwelt irritierende Sinn-Zuschreibungen konstruktiv vorgenommen werden konnten. Hier und nur hier war es möglich, bewährte Beobachtungsschematismen auszugrenzen und rauschende Umweltereignisse selektiv neu und anders wahrzunehmen, was zuletzt zum musikalisch gehaltvollen Schweigen führte und den Grenzstein der Musik markierte. „An ihre äußerste Grenze geführt, kann die Ästhetik der Avantgarde tatsächlich nur im Schweigen enden – oder im undifferenzierten Laut oder im einzelnen, nur sich selbst konsumierenden Laut, was das gleiche ist.“12

12
Fubini, Enrico: Geschichte der Musikästhetik. Stuttgart 1997, S. 401
Mit dem Erreichen dieser Grenze hat – so scheint es – der Fortschritt und der Glaube daran – seine Grenze erreicht.

Solange die Musik, die jedwedes Klingen einschließt, im Raum des Kunstsystems aber verblieb, blieb auch die Trennung zwischen jenen, die sich als Eingeweihte verstehen und jenen, die verständnislos den Kopf nur schütteln und sich ausgeschlossen wähnen. Ja, es brauchte im Zuge der Grenzerweiterung immer notwendig die Instanz des Lehrenden, damit ein Publikum überhaupt wusste, dass es etwas zu lernen oder auch zu ärgern gab, denn dass Umweltereignisse plötzlich musikalisch zu rezipieren waren, wo man zuvor bestenfalls allein ein hintergründiges Rauschen vernahm, war ohne eine vermittelnde Instanz nicht leistbar. Das Verhältnis von Lehrenden und Schülern bleibt so präsent, wobei – wie so üblich bei diesem Rollenschema –, die Schüler in der Regel nicht zu lernen gewillt sind, was die Lehrenden zu lehren antragen.

Bezeichnender Verrat

Doch diesen grenzziehenden Abstand und die Rollenverteilung haben Medien wie der netzgeschaltete Computer aufgehoben, da fortan Rauschereignisse durch Aufnahme und Weiterverarbeitung im breiten Gesellschaftsraum musikalisch zu wirken verstanden. Sie lassen verstehen, da die handelnde Pragmatik herrscht, und verführen breite Gesellschaftsschichten zur Mitwisserschaft, wo bislang im Grunde der geheime Zirkel herrschte. „Die ganze Medienkultur ist ein Verrat.“13

13
Flusser, Vilém: Vom Verrat. In: Ders.: Lob der Oberflächlichkeit. Düsseldorf 1993, S. 84
Der Compu-

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