- 55 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (54)Nächste Seite (56) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

In dem Ausgedrückten ist der schaffende Künstler präsent, der Unerhörtes geschafft hat, das aber für zum Eindruck Vorgesehene häufig nicht nachzuvollziehen schaffen.

Dieses Verhältnis eines sich ausdrückenden Künstlers und eines beeindruckten Publikums umgreift die traditionelle Kunst insgesamt und so auch die der Avantgarde. Sie wollte die Musik freisetzen, befreien von traditioneller Struktur und Form, Musikereignisse ins Leben rufen, die vom regelsetzenden Komponisten Abstand und vom Konzertbetrieb Abschied nahm.

Das eben Gesagte spiegelt sich fast deckungsgleich mit dem Tun der ‚global-player‘, das vorab ja auf ganz ähnliche Weise qualifiziert worden ist. So könnte man festhalten: Wollte die Avantgarde im Sinne Cages dem Experiment in der Musik das Willkommen bereiten, indem Zuhörende sich in einem regellosen, abenteuerlichen Spiel, das absolute Aufmerksamkeit abverlangte, verfangen sahen, so wäre mit den Netzwerkabenteurern im Grunde das Projekt der Avantgarde erfüllt. Doch es zeigt sich ein gravierender Unterschied zum Spiel mit der Musik im Netzwerk. Die Künstler der Avantgarde verfolgten den Gedanken des Voranschreitens. „Sie vertrauten dem Fortschrittscharakter der Geschichte und glaubten daher, das Erscheinen des Neuen mache das Vorhandene, Überlieferte und Ererbte überflüssig und zu Relikten ohne weiteres Existenzrecht.“7

7
Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999, S. 172
Dieser Fortschritt aber funktionierte im Grunde nach dem Muster des Ausschlusses einer breiten Gemeinschaft, denn sobald diese den gedanklichen Anschluss gefunden hatte, sie mit dem vorgestellten Werk etwas anfangen konnte und vielleicht sogar daran Gefallen fand, folgte nach dem Akt der Einweihung sogleich durch erneute Grenzüberschreitung auch der erneute Ausschluss, so als ob im Zuge einer breiten Anteilnahme die Kunst entweiht worden wäre. Da die Avantgarde beansprucht, „ihrer eigenen Zeit voraus zu sein, [. . . ] läuft dies praktisch darauf hinaus, in der gemeinsamen Gegenwart sich zu distanzieren, zu kritisieren, zu polemisieren.“8
8
Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Ffm 1995, S. 467
Zum Urteilen zeigt sich nur der wahre Pionier des Fortschritts befähigt, da er allein ein Verständnis für das Neue besitzt, während der nicht unerhebliche Rest der Gemeinschaft im Überkommenen verhaftet und rückständig bleibt.

Es ist so das Verhältnis von Lehrer und Schüler, das statthat und unaufhebbar ist. Der Abstand ist diesem Verhältnis konstitutiv, denn das folgsame Lernen und Verstehen zieht nach sich den Abstand neu zu ziehen. „Den Erfolg für ein Zeichen des Scheiterns und eine Niederlage als Bestätigung für die Richtigkeit der eigenen Sache zu nehmen, darin bestand das Paradox der Avantgarde.“9

9
Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne, a.a.O., S. 174
Reputation und Anerkennung erwachsen gerade in der Ablehnung durch alle Gesellschaftsschichten, da „Mißerfolg in der Kunst (Skandal, Bestreiten des Kunstcharakters des Objekts) im Kunstsystem extrem anschlußfähig und ruhmerzeugend“ ist, wie Peter Fuchs treffend darstellt.10
10
Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Ffm 1993, S. 167
Zygmunt Baumann zieht den Schluss, dass die Funktion der modernen Kunst es gewesen zu sein scheint, „die Öffentlichkeit in zwei Klassen zu spalten: jene die verstehen können, und jene, die es nicht können.“11
11
Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne, a.a.O., S. 175


Erste Seite (1) Vorherige Seite (54)Nächste Seite (56) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 55 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music