In dem Ausgedrückten ist der schaffende Künstler präsent, der Unerhörtes geschafft
hat, das aber für zum Eindruck Vorgesehene häufig nicht nachzuvollziehen
schaffen.
Dieses Verhältnis eines sich ausdrückenden Künstlers und eines beeindruckten
Publikums umgreift die traditionelle Kunst insgesamt und so auch die der Avantgarde.
Sie wollte die Musik freisetzen, befreien von traditioneller Struktur und Form,
Musikereignisse ins Leben rufen, die vom regelsetzenden Komponisten Abstand und vom
Konzertbetrieb Abschied nahm.
Das eben Gesagte spiegelt sich fast deckungsgleich mit dem Tun der ‚global-player‘,
das vorab ja auf ganz ähnliche Weise qualifiziert worden ist. So könnte man festhalten:
Wollte die Avantgarde im Sinne Cages dem Experiment in der Musik das Willkommen
bereiten, indem Zuhörende sich in einem regellosen, abenteuerlichen Spiel, das absolute
Aufmerksamkeit abverlangte, verfangen sahen, so wäre mit den Netzwerkabenteurern im
Grunde das Projekt der Avantgarde erfüllt. Doch es zeigt sich ein gravierender
Unterschied zum Spiel mit der Musik im Netzwerk. Die Künstler der Avantgarde
verfolgten den Gedanken des Voranschreitens. „Sie vertrauten dem Fortschrittscharakter
der Geschichte und glaubten daher, das Erscheinen des Neuen mache das
Vorhandene, Überlieferte und Ererbte überflüssig und zu Relikten ohne weiteres
Existenzrecht.“7
- Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999, S. 172
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Dieser Fortschritt aber funktionierte im Grunde nach dem Muster des Ausschlusses einer
breiten Gemeinschaft, denn sobald diese den gedanklichen Anschluss gefunden
hatte, sie mit dem vorgestellten Werk etwas anfangen konnte und vielleicht
sogar daran Gefallen fand, folgte nach dem Akt der Einweihung sogleich durch
erneute Grenzüberschreitung auch der erneute Ausschluss, so als ob im Zuge
einer breiten Anteilnahme die Kunst entweiht worden wäre. Da die Avantgarde
beansprucht, „ihrer eigenen Zeit voraus zu sein, [. . . ] läuft dies praktisch darauf
hinaus, in der gemeinsamen Gegenwart sich zu distanzieren, zu kritisieren, zu
polemisieren.“
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- Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Ffm 1995, S. 467
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Zum Urteilen zeigt sich nur der wahre Pionier des Fortschritts befähigt, da er allein ein
Verständnis für das Neue besitzt, während der nicht unerhebliche Rest der Gemeinschaft
im Überkommenen verhaftet und rückständig bleibt.
Es ist so das Verhältnis von Lehrer und Schüler, das statthat und unaufhebbar
ist. Der Abstand ist diesem Verhältnis konstitutiv, denn das folgsame Lernen
und Verstehen zieht nach sich den Abstand neu zu ziehen. „Den Erfolg
für ein Zeichen des Scheiterns und eine Niederlage als Bestätigung für die
Richtigkeit der eigenen Sache zu nehmen, darin bestand das Paradox der
Avantgarde.“9
- Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne, a.a.O., S. 174
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Reputation und Anerkennung erwachsen gerade in der Ablehnung durch alle
Gesellschaftsschichten, da „Mißerfolg in der Kunst (Skandal, Bestreiten des Kunstcharakters des
Objekts) im Kunstsystem extrem anschlußfähig und ruhmerzeugend“ ist, wie Peter Fuchs treffend
darstellt.
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- Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Ffm 1993, S. 167
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Zygmunt Baumann zieht den Schluss, dass die Funktion der modernen Kunst es gewesen zu sein
scheint, „die Öffentlichkeit in zwei Klassen zu spalten: jene die verstehen können, und jene, die es
nicht können.“
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- Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne, a.a.O., S. 175
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