- 389 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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aus der Gesamtheit möglicher Perspektiven gewählt werden. Die Auswahl relevanter Aspekte beginnt schon sehr früh in der propädeutischen Evaluation. So lassen sich in einer Partitur etwa der ersten Wiener Klassik Taktstriche, Periodengrenzen, Noten oder Pausen erkennen.

In einer metrisch-rhythmischen Untersuchung wäre dann die Frage nach der Relevanz der Taktstriche zu stellen. Wie stark will man diese Events in die Analyse einbinden? Wie die MetroRubette, welche wir im nächsten Abschnitt skizzieren, zeigt, gibt es hierzu verschiedenste graduelle Möglichkeiten, nicht nur „Ja“ oder „Nein“.

Normative Analyse bedeutet in dieser Situation zunächst einmal, daß man sich grundsätzlich dafür entscheidet, Taktstriche als äußere formale Grenzen der metrisch-rhythmischen Analyse einzubringen. Dieses Prokrustesbett der Zeitstruktur wird von Jackendoff und Lerdahl in der GTTM vorgegeben. So sind Taktstriche immer als Punkte der metrischen Struktur angenommen. Mehr noch, es werden dort künstlich auch nicht als Partitur-Events gegebene Einsatzzeiten eingefügt, um regelmäßige Unterteilung zu erzwingen, wo sie nicht vorliegt, und dies unter dem Axiom, daß sukzessive metrische Ebenen immer die Dauernverhältnisse 1:2 oder 1:3 befolgen; alles andere ist verboten. Die metrische Analyse von acht Takten aus Mozarts Jupiter-Symphonie17

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GTTM’83, Beispiel 4.8, p. 73.
ist dafür ein typisches Beispiel.

Dieses Vorgehen ist nicht nur unflexibel, es ist auch gefährlich, weil es einerseits die Komplexität der Rhythmik durch eine sekundäre Ordnungsinstanz (Taktstriche) und ein aufgesetztes Unterteilungsdogma (1:2, 1:3) zerstört, ohne daß dies begrifflich vom Werk her gesehen nötig wäre. Es wird dadurch eine Norm erzwungen, die nur den schlechten Massengeschmack zementiert, statt die mögliche Intention des Komponisten darzustellen.

Rhythmik und Metrik sind aber auch in der tonalen Musik viel weniger an Taktstriche und dergleichen gebunden als es die Notation der Partitur suggeriert. Im modernen Jazz etwa18

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Man höre dazu etwa Steve Colemans CD The Sonic Language of Myth (BMG/RVA Victor 1998) oder die CD Maze des Heinz-Geisser-Guerino-Mazzola-Quartetts (Quixotic Records 1999).
gibt es extrem komplexe Poly- und Mikrorhythmen, die sich nie durch Taktstriche erfassen ließen, und durch diese Normierung als unmetrische oder unrhythmische Musik „durchfallen“ müßten.

Die Normierung in der metrisch-rhythmischen Analyse der GTTM zeigt aber auch eine bemerkenswerte Schwäche des Verzichts auf Computer-Programme: Es wäre die folgende, mit Methoden der Mathematischen Musiktheorie entwickelte Analysemethode ohne Einsatz von Software-Implementierung nicht effizient einsetzbar, da sie in einer Auswertung von Hand viel zu komplex würde. Wir wollen damit sagen, daß manchmal hinter dem normativen Ansatz der ganz banale, aber folgenreiche Beweggrund steht, daß man ohne diese terrible Simplification keine operationelle Beherrschung der Analyse erwarten könnte und so lieber das Einfache und Falsche ein- und durchsetzt, als die realen Verhältnisse in ihrer eventuell zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht beherrschbaren Komplexität zu respektieren. Die folgende Forderung stand denn auch zu Beginn unserer Arbeit an der Analyse-Software RUBATO:


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