- 387 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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2.  Norm und Form

Das Regelsystem der GTTM erweist sich bei näherem Hinsehen zwar als normativ, in seinen formalen Ansprüchen aber genügt es nicht. Wir werden inhaltliche Mängel ferner auch am Beispiel der GTTM-Axiomatik der metrischen Struktur erläutern. Es sollte das Programm der GTTM nicht so sehr als Formalisierung der Intuition denn als vage Intuition einer Formalisierung bezeichnet werden, dies wäre auch der Abneigung seiner Autoren gegen Computer-Implementierung adäquater; nichts bringt die Schwachpunkte eines Denksystems so deutlich an den Tag wie der Versuch, es zu implementieren.

2.1.  Der Status des Regelsystems

Der Status eines Regelsystems müßte logische Konsistenz (Widerspruchslosigkeit) und Vollständigkeit, oder zumindest begriffliche Sauberkeit beinhalten. Keines dieser Kriterien ist im vierteiligen Regelsystem der GTTM16

16
GTTM’83, p. 345ff.
, bestehend aus 1. Grouping Structure, 2. Metrical Structure, 3. Time-Span Reduction, 4. Prolongational Reduction, auch nur annähernd erfüllt. Jedes dieser Teilsysteme ist unterteilt in well-formedness rules (WFR) und preference rules (PR). Die WFR spezifizieren, was strukturell a priori zugelassen ist, während die PR die dem Idealhörer entsprechenden Zusätze kennzeichnen.

Das erste Regelteilsystem der Grouping Structure beginnt mit der Definition einer „group“, was wir mit „Gruppierung“ übersetzen, da „Gruppe“ mit dem mathematischen Terminus kollidieren könnte:

GWFR1. Any contiguous sequence of pitch-events, drum beats, or the like can constitute a group, and only contiguous sequences can constitute a group.

Die Vagheit der Grundbegriffe „pitch-event“, „beat“ („or the like . . . “) ist nicht harmlos: Man ist grundsätzlich im Ungewissen gelassen, welche Parameter hier angesprochen sind. Dies wirkt sich unmittelbar in der Charakterisierung durch Kontiguität aus. Zunächst scheint sich diese auf die Einsatzzeit der Ereignisse zu beziehen: Kontiguität meint, daß die Projektion der Sequenz auf die Achse der Einsatzzeit konvex sein soll, d. h. es soll keine Einsatzzeit der gegebenen Komposition geben, die nicht zur Sequenz gehört, aber zwischen zwei Einsatzzeiten der Sequenz liegt. Dazu muß man allerdings wissen, welche Ereignisse zugelassen sind: Noten, Pausen, Taktstriche? Die Ausfransung „and the like“ in GWFR1 verunmöglicht hier die Antwort. Die Intuition hat die Formalisierung im Griff – statt umgekehrt. Gerade bei orchestraler Instrumentierung und/oder Mehrstimmigkeit wäre hier eine Präzisierung wesentlich.

Ferner ist auch die Frage der zeitlichen Grenzen nicht präzise beantwortet: Soll die Grenze zwischen zwei angrenzenden Gruppierungen auch die Dauern berücksichtigen oder nur die Einsatzzeiten? Es kann vorkommen, daß diese Gruppierungen zwar in den Einsatzzeiten getrennt liegen, daß aber die letzte Note der ersten Gruppe noch andauert, während die erste der folgenden Gruppe schon eingesetzt hat. Was ist hier zugelassen?


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