der Schreibweise spielten, wird klar,
welcher Erlebnisdimensionen wir inzwischen verlustig gegangen sind – und was es
umgekehrt aber auch bedeuten könnte, daß nun, wenn auch noch in äußerst
bescheidenem Umfang, wieder Alternativen zugelassen sind. Denn erst mit dem Ende des
20. Jahrhunderts, nämlich heute, gibt es in Form der aktuellen Rechtschreibreform
wieder zaghafte analoge Ansätze beim Versuch, Zwischentöne zuzulassen. Interessant ist
allerdings zu beobachten, daß sich der Streit um das Für und Wider der Reform im
Kern als ein Kampf um die Digitalität erweist – Indiz für eine Demontage des
Absoluten, und damit für einen Richtungswechsel des Denkens: Sowohl Art als auch
Rezeption der gegenwärtigen Rechtschreibreform tragen spürbare Züge ihrer eigenen
Dekonstruktion.
Eine Digitalisierung, die in der Textschreibung möglicherweise harmlos und der Materie unter der Voraussetzung, daß die maßgebliche Tradierungsform von Sprache weiterhin die mündliche war, nicht allzu abträglich gewesen sein mag9
Dies wirkte sich auch auf die Vermittlung der Diastematik aus, die bis heute extreme Merkmale der Digitalisierung aufweist: Tonhöhen werden bis heute fast ausschließlich absolut aufgefaßt10
„Ich setzte mich [...] an den Flügel und hämmerte meine Stückchen frisch darauf los, und mein Vater rief einmal über das andere: ,Das hätte ich nicht gedacht!‘ – Als das Scherzo zu Ende war, sagte der Kantor [sein Klavierlehrer, H. K.] ganz freundlich: ,Das war die schwere Tonart E-dur!‘ und mein Vater wandte sich zu einem Freunde, sprechend: ,Sehen Sie, wie fertig der Junge das schwere E-dur handhabt!‘ – ,Erlauben Sie, Verehrtester‘, erwiderte dieser, ,das war ja F-dur.‘ – ,Mitnichten, mitnichten!‘ sagte der Vater. ,Ei ja doch‘, versetzte der Freund: ,wir wollen es gleich sehen.‘ Beide traten an den Flügel. ,Sehen Sie‘, rief mein Vater triumphierend, indem er auf die vier Kreuze wies. ,Und doch hat der Kleine F-dur gespielt‘, sagte der Freund. – Ich sollte das Stück wiederholen. Ich tat es ganz unbefangen, indem es mir nicht einmal recht deutlich war, worüber sie so ernstlich stritten. Mein Vater sah in die Tasten; kaum hatte ich aber einige Töne gegriffen, als mir des Vaters Hand um die Ohren sauste. ,Vertrackter, dummer Junge!‘ schrie er im höchsten Zorn. Weinend und schreiend lief ich davon, und nun war es mit meinen musikalischen Unterricht auf immer aus.“11
|