- 21 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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sche Gestaltung ansieht als korrelativ bedingte Transgredation seelisch-körperlicher Bewegungsprozesse, die kategorisch ihr subjektives Gleichgewicht finden in dem funktionellen Bezugssystem biologischer Dynamik.“ Er zeigt bei aller Wohlüberlegtheit die Grenzen des Versuchs, Musik wissenschaftlich exakt zu definieren, und zwar kulturenübergreifend.

Auch die bekannte von Carl Dahlhaus formulierte Definition, nach der „Musik jede absichtsvolle Organisation von Schallereignissen einschließlich der akustischen Stille“ sei, greift nicht einmal in unserer eigenen Kultur, seit dem es Stücke gibt, die aus dem Herumschwirren eines Schmetterlings (bei La Monte Young, glaube ich) oder aus nicht-absichtsvoller Nicht-Organisation besteht.

Zudem müssen wir, wie ich eingangs schon erwähnt habe, uns ständig vor Augen halten, daß unser Begriff „Musik“ in vielen Kulturen keine sprachliche Entsprechung hat, wir also diesen Diskurs nur mit großen Schwierigkeiten als einen Globalen Diskurs führen könnten. Abgesehen von dieser Schwierigkeit werden wir beim Versuch, einen Globalen Diskurs über Global Music zu führen, auf energischen und aggressiven Widerspruch bei Vertretern all derjenigen Kulturen stoßen, die seit Beginn des Jahrhunderts in wachsender Stärke gegen die Dominanz westlichen Denkens, westlicher Kultureinflüsse und natürlicher westlicher Hegemonieansprüche protestieren. Dieser Protest nimmt in seiner politischen Formierung oft aggressive bis militante Züge an. Oft wird auch das, was wir für eine positive Errungenschaft halten, nämlich die ästhetische Vielfalt von Musikstilen und -formen in unserer Gesellschaft, als negatives Zeichen gesellschaftlicher Dekadenz und Auflösung gesehen, so vor allem von radikalen Richtungen des islamischen Fundamentalismus – aber nicht nur diesem; beschäftigt man sich zum Beispiel mit dem US-amerikanischem Fundamentalismus, so stellt man auch da mit gelindem Entsetzen Forderungen fest, die in die gleiche Richtung einer „gereinigten“ und „reinigenden“ Musik laufen – Tendenzen, die es in der Kulturgeschichte immer gegeben hat und die unter totalitären Regimes auch oft genug zwangsweise umgesetzt werden.

Es seien dazu nur die Berichte in Erinnerung gerufen, wonach die sogenannten fundamentalistischen Befreiungskämpfer in Afghanistan kurzerhand jeden erschießen oder verstümmeln, den sie beim Anhören nichtislamischer Musik erwischen. Vor einigen Monaten war in einer Fernsehsendung ein Interview mit Studenten einer islamischen Universität zu sehen, in dem diese energisch eine „Reinigung der Musik von allen verderblichen Einflüssen“ forderten und voraussagten, daß ihre islamische Bewegung nach deren unvermeidlichen weltweitem Sieg auch dafür sorgen werde; der Clou bestand darin, daß diese Studenten dem Westen ein latentes Bedürfnis unterstellten, von einer starken Kultur – eben dem Islam in seiner fundamentalistischen Form – sozusagen an die Hand genommen zu werden und wieder zu reinen Lebensformen zurückzufinden. Sie hielten dies – sicher nicht ganz zu Unrecht – durch die große Faszination für bewiesen, die viele Sekten und fundamentalistische Strömungen in der westlichen Massenkultur haben. Global Music wäre für diese Studenten eine sehr einseitige Musik, begrenzt auf die religiösen Gesänge der Mudjaheddins. Ähnliches traf ja im übrigen in der Entstehungszeit der sich formierenden christlichen Kirche auf die erlaubten Musizierformen auch zu.


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