- 189 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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technische Neuerung löste eine Diskussion über Mikrofon- und Aufnahmeverfahren aus.
  • Obwohl das Ideal der Naturtreue zunächst Zielvorgabe der technischen Bemühungen war, stellte gerade die Perfektionierung der Übertragungstechnik dieses Ideal in Frage.

    In der Frühzeit der Musikaufzeichnung stand gewissermaßen am technischen Horizont die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, von der sich die Übertragungseigenschaften der Schellackplatte noch deutlich unterschieden. Deshalb konnte als Ziel der Übertragung noch die identische Reproduktion eines ursprünglichen Schallereignisses und als Ideal Naturtreue gelten. Erst als mit der Langspielplatte und dem HF-vormagnetisierten Magnetband die elektroakustische Übertragung dem Gehör weitgehend angeglichen war – und in diesem Sinn kann hier durchaus von technischer Perfektionierung gesprochen werden –, zeigte sich die grundsätzliche Problematik des Begriffs der Naturtreue. Denn zum einen war mit der verbesserten technischen Übertragung die wahrnehmungspsychologische Differenz zwischen dem Musikhören im Konzert und von Schallplatte deutlich geworden, zum anderen erwiesen sich elektroakustische Gestaltungsmöglichkeiten. Der Paradigmenwechsel spiegelt sich in einer in den Fünfzigerjahren einsetzenden Diskussion über die naturgetreue Wiedergabe.

  • Anstelle der Naturtreue setzt sich die Illusion der Live-Aufführung als Ideal durch.

    Das Umdenken seit den Fünfzigerjahren mündet darin, dass nicht mehr das ursprüngliche Schallereignis, sondern das Erleben des Musikhörers im Mittelpunkt der gestalterischen Bemühungen steht. Mit Reineckes psychologisch-theoretischer Fundierung wird eine kompensatorische Ästhetik bei Tonmeistern zum Allgemeingut.

  • Damit hat sich die technisch übertragene klassische Musik ästhetisch nicht von der Konzertdarstellung gelöst.

    Obwohl Übertragungsmusik, wie anfangs ausgeführt, eigenen Bedingungen unterliegt und als eine eigenständige Form der Musikdarstellung begriffen werden muss, werden Aufnahmen klassischer Musik nicht in medial eigenständiger Weise gestaltet. Maßstäbe der Gestaltung sind vielmehr die Illusion der Live-Aufführung und ein Eindruck von Natürlichkeit; die elektroakustische Musikwiedergabe orientiert sich am Konzerterlebnis und wird als Surrogat für dieses gestaltet und rezipiert.

  • Zwei Einwände gegen die letzte These sind hier zu bedenken. Erstens: Die elektroakustische Musikübertragung mag zwar ein Abbild des Konzerts darstellen, jedoch strebt sie gleichzeitig Idealität an. Die Klangfarben der Instrumente und Stimmen und die Akustik des Aufführungsraums orientieren sich nicht an realen, sondern an vorgestellt idealen Verhältnissen. In musikalischer Hinsicht gibt die Aufnahme eine Werkrealisation wieder, die im Konzert nicht möglich ist, weil die Aufnahme in der Regel aus verschiedenen Versuchen des Musikers (aus verschiedenen Takes)


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