technische Neuerung löste eine Diskussion
über Mikrofon- und Aufnahmeverfahren aus.
Obwohl das Ideal der Naturtreue zunächst Zielvorgabe der technischen
Bemühungen war, stellte gerade die Perfektionierung der Übertragungstechnik
dieses Ideal in Frage.
In der Frühzeit der Musikaufzeichnung stand gewissermaßen am technischen
Horizont die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, von der sich die
Übertragungseigenschaften der Schellackplatte noch deutlich unterschieden.
Deshalb konnte als Ziel der Übertragung noch die identische Reproduktion
eines ursprünglichen Schallereignisses und als Ideal Naturtreue gelten. Erst
als mit der Langspielplatte und dem HF-vormagnetisierten Magnetband
die elektroakustische Übertragung dem Gehör weitgehend angeglichen war
– und in diesem Sinn kann hier durchaus von technischer Perfektionierung
gesprochen werden –, zeigte sich die grundsätzliche Problematik des
Begriffs der Naturtreue. Denn zum einen war mit der verbesserten
technischen Übertragung die wahrnehmungspsychologische Differenz zwischen
dem Musikhören im Konzert und von Schallplatte deutlich geworden,
zum anderen erwiesen sich elektroakustische Gestaltungsmöglichkeiten. Der
Paradigmenwechsel spiegelt sich in einer in den Fünfzigerjahren einsetzenden
Diskussion über die naturgetreue Wiedergabe.
Anstelle der Naturtreue setzt sich die Illusion der Live-Aufführung als Ideal
durch.
Das Umdenken seit den Fünfzigerjahren mündet darin, dass nicht mehr
das ursprüngliche Schallereignis, sondern das Erleben des Musikhörers
im Mittelpunkt der gestalterischen Bemühungen steht. Mit Reineckes
psychologisch-theoretischer Fundierung wird eine kompensatorische Ästhetik
bei Tonmeistern zum Allgemeingut.
Damit hat sich die technisch übertragene klassische Musik ästhetisch nicht
von der Konzertdarstellung gelöst.
Obwohl Übertragungsmusik, wie anfangs ausgeführt, eigenen Bedingungen
unterliegt und als eine eigenständige Form der Musikdarstellung begriffen
werden muss, werden Aufnahmen klassischer Musik nicht in medial
eigenständiger Weise gestaltet. Maßstäbe der Gestaltung sind vielmehr
die Illusion der Live-Aufführung und ein Eindruck von Natürlichkeit; die
elektroakustische Musikwiedergabe orientiert sich am Konzerterlebnis und
wird als Surrogat für dieses gestaltet und rezipiert.
Zwei Einwände gegen die letzte These sind hier zu bedenken. Erstens: Die
elektroakustische Musikübertragung mag zwar ein Abbild des Konzerts darstellen,
jedoch strebt sie gleichzeitig Idealität an. Die Klangfarben der Instrumente und Stimmen
und die Akustik des Aufführungsraums orientieren sich nicht an realen, sondern an
vorgestellt idealen Verhältnissen. In musikalischer Hinsicht gibt die Aufnahme eine
Werkrealisation wieder, die im Konzert nicht möglich ist, weil die Aufnahme in der Regel
aus verschiedenen Versuchen des Musikers (aus verschiedenen Takes)