- 190 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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montiert ist. Solche Idealisierung begründet eine Entfernung der Aufnahme vom Live-Ereignis. – Idealisiert wird jedoch etwas Hergebrachtes; Ziel ist zwar die ideale Darstellung, aber eben die eines Live-Ereignisses. Entscheidend ist, dass bei der Musikaufnahme keine gestalterischen Maßnahmen getroffen werden, die der Vorstellung des Konzerterlebnisses widersprächen.

Zweitens: Kaum ein Musikliebhaber wird der Aussage zustimmen, das Konzert sei durch die Aufnahme ersetzbar. Die Live-Aufführung von Musik wird allgemein hoch geschätzt, häufig sogar für die musikalische Erfahrung als unabdingbar erachtet. Diese Wertschätzung des Konzerts dürfte umso stärker sein, als die Welt heute überwiegend medial vermittelt erfahren wird. „Wenn man sich die Anwesenheit im Museum, in Theatervorstellungen, Konzertsälen, Kinos oder Bibliotheken ersparen kann, indem man zu Hause alles – live oder gespeichert – vielfach in besserer Qualität auf dem Bildschirm durchblättert [. . . ], dann verändert sich [. . . ] auch der Reiz von kulturellen Veranstaltungen als solchen.“29

29
Florian Rötzer, Mediales und Digitales: Zerstreute Bemerkungen und Hinweise eines irritierten informationsverarbeitenden Systems, in: ders. (Hg.), Digitaler Schein, Frankfurt am Main 1991, S. 61.
Es entsteht die „Sehnsucht nach dem unverfügbaren Ereignis“30
30
Ebd., S. 47.
. In diesem Sinn scheint das Konzert gerade durch die Schallplatte zu seiner Aura der Unersetzlichkeit gelangt zu sein. In dem Maß aber, in dem das Konzert als Eigenes und Unersetzbares geschätzt wird, wird nicht die Schallplatte als Selbstständiges aufgefasst. Wird auch das Konzert als die ursprüngliche Form der Musikdarstellung gesehen: Die Aufnahme ist eben nur ihr Abbild ohne echte ästhetische Eigenständigkeit. Beleg dafür ist die Tatsache, dass sich die Gestaltung von Schallplattenaufnahmen an das Konzerterlebnis anlehnt und dass Versuche der originär elektroakustischen Gestaltung sich nicht durchsetzten.

Warum aber hat sich die elektroakustische Übertragung klassischer Musik bei allen grundsätzlichen Differenzen nicht vom Konzert gelöst, warum orientiert sie sich am raumgebundenen Ereignis und ist ihrer Gestaltung nach Surrogat?

Bisweilen werden marktwirtschaftliche Gründe angeführt. Harden etwa macht „zunehmende[n] Kostendruck“31

31
Ingo Harden, Freiheit lernen: Aufnahmepraxis und Digitalschallplatte, in: Hans-Klaus Jungheinrich (Hg.), Ästhetik der Compact Disc, Kassel u. a. 1985, S. 72.
mitverantwortlich dafür, dass sich die Produzenten um 1970 von der aufnahmetechnischen Werkauslegung abwandten: „Wo schneller produziert werden muß, bleibt keine Zeit für Experimente und aufwendige Individuallösungen, wird ,auf Nummer Sicher‘ gearbeitet. Und wenn die Marketing-Leute der Firmen ohnehin predigen, daß die große Mehrheit der Käufer möglichst viel handfesten Sound will, dann laden solche Äußerungen ebenfalls nicht zur Praktizierung ästhetischen Wagemuts ein.“32
32
Ebd.
Hardens Argument vermag zu erklären, dass sich die Gestaltung von Musikaufnahmen in einer schmalen Bandbreite bewegt. Es erklärt aber nicht, warum der Konsument (vermeintlich) eine am Ereignis orientierte Gestaltung am stärksten nachfragt, zumal „handfester Sound“ eigenständiger stereofoner Darstellung nicht widerspricht.

Einen Hinweis auf das Problem gibt auch Stange, indem er die Frage stellt, warum sich zwar in den ersten Jahrzehnten des Rundfunks rundfunk-eigene Kom-


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