montiert ist. Solche
Idealisierung begründet eine
Entfernung der Aufnahme vom Live-Ereignis. – Idealisiert
wird jedoch etwas Hergebrachtes; Ziel ist zwar die ideale Darstellung, aber eben die
eines Live-Ereignisses. Entscheidend ist, dass bei der Musikaufnahme keine
gestalterischen Maßnahmen getroffen werden, die der Vorstellung des Konzerterlebnisses
widersprächen.
Zweitens: Kaum ein Musikliebhaber wird der Aussage zustimmen, das
Konzert sei durch die Aufnahme ersetzbar. Die Live-Aufführung von Musik
wird allgemein hoch geschätzt, häufig sogar für die musikalische Erfahrung als
unabdingbar erachtet. Diese Wertschätzung des Konzerts dürfte umso stärker
sein, als die Welt heute überwiegend medial vermittelt erfahren wird. „Wenn
man sich die Anwesenheit im Museum, in Theatervorstellungen, Konzertsälen,
Kinos oder Bibliotheken ersparen kann, indem man zu Hause alles – live oder
gespeichert – vielfach in besserer Qualität auf dem Bildschirm durchblättert [. . . ],
dann verändert sich [. . . ] auch der Reiz von kulturellen Veranstaltungen als
solchen.“29
- Florian Rötzer, Mediales und Digitales: Zerstreute Bemerkungen und Hinweise eines
irritierten informationsverarbeitenden Systems, in: ders. (Hg.), Digitaler Schein, Frankfurt am
Main 1991, S. 61.
|
Es entsteht die „Sehnsucht nach dem unverfügbaren
Ereignis“
30 .
In diesem Sinn scheint das Konzert gerade durch die Schallplatte zu seiner Aura der
Unersetzlichkeit gelangt zu sein. In dem Maß aber, in dem das Konzert als Eigenes und
Unersetzbares geschätzt wird, wird nicht die Schallplatte als Selbstständiges aufgefasst.
Wird auch das Konzert als die ursprüngliche Form der Musikdarstellung gesehen: Die
Aufnahme ist eben nur ihr Abbild ohne echte ästhetische Eigenständigkeit. Beleg dafür
ist die Tatsache, dass sich die Gestaltung von Schallplattenaufnahmen an das
Konzerterlebnis anlehnt und dass Versuche der originär elektroakustischen Gestaltung
sich nicht durchsetzten.
Warum aber hat sich die elektroakustische Übertragung klassischer Musik bei allen
grundsätzlichen Differenzen nicht vom Konzert gelöst, warum orientiert sie sich am
raumgebundenen Ereignis und ist ihrer Gestaltung nach Surrogat?
Bisweilen werden marktwirtschaftliche Gründe angeführt. Harden etwa macht „zunehmende[n]
Kostendruck“31
- Ingo Harden, Freiheit lernen: Aufnahmepraxis und Digitalschallplatte, in: Hans-Klaus
Jungheinrich (Hg.), Ästhetik der Compact Disc, Kassel u. a. 1985, S. 72.
|
mitverantwortlich dafür, dass sich die Produzenten um 1970 von der aufnahmetechnischen
Werkauslegung abwandten: „Wo schneller produziert werden muß, bleibt keine Zeit für
Experimente und aufwendige Individuallösungen, wird ,auf Nummer Sicher‘
gearbeitet. Und wenn die Marketing-Leute der Firmen ohnehin predigen, daß die
große Mehrheit der Käufer möglichst viel handfesten Sound will, dann laden
solche Äußerungen ebenfalls nicht zur Praktizierung ästhetischen Wagemuts
ein.“
32
Hardens Argument vermag zu erklären, dass sich die Gestaltung von Musikaufnahmen in
einer schmalen Bandbreite bewegt. Es erklärt aber nicht, warum der Konsument
(vermeintlich) eine am Ereignis orientierte Gestaltung am stärksten nachfragt, zumal
„handfester Sound“ eigenständiger stereofoner Darstellung nicht widerspricht.
Einen Hinweis auf das Problem gibt auch Stange, indem er die Frage stellt, warum
sich zwar in den ersten Jahrzehnten des Rundfunks rundfunk-eigene Kom-