Solche Partiturinterpretation mit elektroakustischen Mitteln ist vor
allem bei Aufnahmen der Sechzigerjahre anzutreffen. Häufig werden
in diesem Zusammenhang die Opernproduktionen von John Culshaw
(Decca)23
Diese Art der Aufnahme scheint jedoch nach 1970 kaum mehr weitergeführt zu werden. Stattdessen zeichnen sich die Einspielungen jetzt in überwiegender Mehrzahl durch stabile Schallquellenortung, räumliche Tiefe und die Wiedergabe der Akustik des Aufnahmeraums aus. Diese Entwicklung zeigt sich in einer vom Autor durchgeführten empirischen Untersuchung25
Die Stereofonie hat deutlich gemacht, dass die elektroakustische Musikübertragung über ein gestalterisches Potenzial verfügt, das über das bloße Abbilden der Live-Darbietung weit hinausgeht. Die Ausnutzung dieses Potenzials zur Partiturinterpretation erweist sich aber historisch als vorübergehend. Stattdessen verengt sich die Gestaltungspraxis wieder und orientiert sich erneut am Konzertereignis – die autonome aufnahmetechnische Gestaltung, die nicht den Anspruch der Natürlichkeit erhebt, hat sich als nicht überlebensfähig erwiesen. Die nächste zentrale Innovation in der Entwicklung der Schallaufzeichnung, die Digitaltechnik, trägt mit weiterer Verbesserung der Aufzeichnungsqualität zur Konsolidierung der Situation bei. Um 1980 wird die digitale Schallspeicherung im Tonstudio eingeführt; 1983 erreicht sie mit der Compact Disc (CD) den Konsumenten. Mit der Digitaltechnik wird die Übertragungsqualität in mehrfacher Hinsicht gesteigert: Digitale Aufzeichnungen weisen praktisch kein Eigenrauschen auf, sind extrem verzerrungsarm und lassen (in der 16-bit-Auflösung der CD) beinahe die doppelte Dynamik der Vinylplatte zu. Veränderungen wurden aber nicht nur in der technischen Qualität, sondern auch im Klangcharakter wahrgenommen. Digitalaufnahmen wurden als weniger räumlich und präsenter empfunden als analog gespeicherte Aufnahmen; nicht selten |