- 186 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Reineckes Beitrag – scheinen heute zum theoretischen Grundstock der meisten Tonmeister zu gehören.

Klingendes Beispiel für auf diese Weise gestaltete Aufnahmen ist ein Ausschnitt aus einer Einspielung von Igor Strawinskys Sacre du printemps19

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Igor Strawinsky, Le Sacre du printemps, Israel Philharmonic Orchestra, Leonard Bernstein, DG 431 045-2, Aufnahme aus dem Jahr 1982 (die Klangbeispiele sind abgelegt unter http://www.epos.uos.de/books/e/en_st003/sound/sounds.htm.)
. Der Hörer kann hier jedes Instrument detailscharf verfolgen. Zugleich entsteht vor seinen Ohren (und seinem inneren Auge) ein in die Tiefe ausgedehnter akustischer Raum, in dem jedes Instrument einen definierten Platz hat. Eine so klare Szenerie, wie sie die Lautsprecherwiedergabe der Aufnahme erstehen lässt, nimmt kein Zuhörer im Konzertsaal auf rein akustischem Weg wahr; gleichwohl stellt sie sich ein, wenn er die Augen zu Hilfe nimmt, und entspricht der Vorstellung eines im Konzertsaal musizierenden Ensembles.

Der Auslöser für den Übergang des Klangideals von der Naturtreue zur Natürlichkeit – dies gilt es sich vor Augen zu halten – war die Verbesserung der Übertragungsqualität um 1950, in der die Zeitgenossen mit einigem Recht die Ausentwicklung der Schallaufzeichnungstechnik sahen.

Als nächste wichtige und, wie bereits angedeutet, ästhetisch folgenreiche Innovation wurde bereits acht Jahre nach der Langspielplatte die Stereofonie eingeführt. Ihr Prinzip ist die zweikanalige Speicherung und Wiedergabe, die eine richtungsdifferenzierte Abbildung der Schallquellen erlaubt und damit auch eine umfassendere Abbildung des Aufnahmeraums ermöglicht. Obwohl man sich im Vorfeld von der Stereofonie vor allem den Durchbruch zu einer wahrhaft naturgetreuen Übertragung versprochen hatte,20

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Vgl. Siegfried Mitlacher, Über einige Grundfragen der elektro-akustischen Musikübertragung, in: Bild und Ton 1955, S. 73: „Sobald die stereophonische Komponente eingesetzt werden kann, steht also die Erreichung des erstrebten Zieles [sc. der naturgetreuen Reproduktion] immerhin schon in greifbarer Nähe.“
zeigte die Praxis zunächst neue Gestaltungsmöglichkeiten. Nach einer kurzen Phase der Erprobung manifestiert sich in Aufnahmen der Sechzigerjahre die Erfahrung, dass die stereofone Klangbildgestaltung in das musikalische Geschehen eingreifen kann.

Ein Beispiel für eine solche elektroakustische Interpretation ist der Anfang des zweiten Satzes von Hector Berlioz‘ Symphonie fantastique in einer Einspielung unter der Leitung von Leopold Stokowski21

21
Hector Berlioz, Symphonie fantastique op. 14, New Philharmonic Orchestra, Leopold Stokowski, Decca 2894-30867-2 MG, (P) 1968
(vgl. http://www.epos.uos.de/books/e/en_st003/sound/sounds.htm).
. In der Introduktion zum zweiten Satz wird hier die Harfe stark vergrößert abgebildet. Dickreiter vergleicht dieses Verfahren mit der „Zoomtechnik des Films“: „musikalische ,Großaufnahmen‘ [werden] von einzelnen Instrumentensoli und wichtigen Stimmen gemacht.“22
22
Michael Dickreiter, Handbuch der Tonstudiotechnik, Bd. 1, München u. a. 1987, S. 339.
Zur „Großaufnahme“ der Harfe kommt im Klangbeispiel eine Links-Rechts-Gegenüberstellung zu den tiefen Streichern. Beides zusammen bewirkt, dass die Harfenstimme dem Streicherpart antiphonal gleichberechtigt erscheint. Die elektroakustische Gestaltung wirkt sich damit unmittelbar auf die Interpretation der Partitur aus – in einer Weise, die nicht vereinbar ist mit der Vorstellung eines live erlebten Konzerts.


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