So stellt
Urbanski 1957 die elektroakustische Aufzeichnung als ein Instrument der künstlerischen
Gestaltung dar. Maximen der Wiedergabe sind für ihn die „volle Ausdruckskraft des
Kunstwerks“ und das Erwecken „ähnliche[r] künstlerischer Emotionen wie eine
Originalaufführung“
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- Janusz Urbanski, Künstlerische Probleme bei der Tonband-Musikaufnahme, in: Bericht 4.
Tonmeistertagung Detmold 1957, S. 57.
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– die naturgetreue Abbildung eines Schallereignisses spielt für Urbanski offensichtlich eine
untergeordnete Rolle. Auf die Möglichkeit der bewussten Gestaltung von Aufnahmen weist auch
Burkowitz hin, der idealtypisch die „subjektive“ der „objektiven“ Methode der Musikaufnahme
gegenüberstellt.
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- Peter Burkowitz, Methoden der Musikaufnahme, in: Bericht 4. Tonmeistertagung Detmold
1957, S. 59–62.
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Die Forderung Thienhaus‘, den problematisch gewordenen Begriff der Natürlichkeit zu
klären, wird aber in den folgenden Jahren in der fachlichen Diskussion nicht eingelöst,
denn ein dringenderes Thema war in den Vordergrund geraten: die Stereofonie. Sie
stellte nicht nur praktische Aufgaben, sondern zeitigte auch gravierende ästhetische
Folgen, über die weiter unten zu sprechen sein wird. An der Stereofonie, so scheint es,
hatten sich die Tonmeister ein Jahrzehnt lang abzuarbeiten, bevor Ende der
Sechzigerjahre das Thema der naturgetreuen Übertragung wieder aufgegriffen wurde.
Und dazu lieferte den wohl bedeutendsten Beitrag 1969 Hans-Peter Reinecke. Reinecke
stellt in seinem Beitrag Das Ideal des naturgetreuen Klangbildes – ein psychologisches
Problem15
- In: Bericht 8. Tonmeistertagung 1969, S. 85–88.
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dar, wie die Schallfeldparameter das empfundene Klangbild nur unzureichend
determinieren und erklärt die Differenz zwischen Konzert und elektroakustischer
Wiedergabe als eine hör- und sozialpsychologische: das Klangerlebnis im
Konzert sei in hohem Maß bestimmt von „Auge, Tastsinn und [der]
unmittelbare[n] Rollendefinition“, während es bei Übertragungsmusik allein
akustisch vermittelt werde. Daraus resultiere „ein anderes Erwartungs- und
Wahrnehmungsmuster.“
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So begründet Reinecke, warum sich zwar mit entsprechendem Aufwand ein
Schallfeld annähernd reproduzieren lässt, jedoch das Klangerlebnis prinzipiell nicht
wiederherzustellen ist.
Im Bewusstsein der grundsätzlichen Differenz zwischen Live- und übertragener
Musik wandelt sich das Ideal der Naturtreue zu dem „einer artifiziellen
Natürlichkeit“17
- Wilhelm Schlemm, Musikproduktion, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2.,
neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher, Kassel, Stuttgart u. a. 1997, Sachteil Bd.
6, Sp. 1549.
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Ziel der Klangbildgestaltung ist jetzt nicht mehr, ein bestimmtes Schallereignis zu
reproduzieren, sondern beim Hörer eine dem Konzerterlebnis ähnliche Empfindung – eine
Konzert-
Illusion – zu erzeugen. Dazu müssen nicht Mängel der Übertragung kompensiert
werden, sondern die psychologische Differenz zwischen der Musikrezeption im Konzertsaal
und der elektroakustisch vermittelten. Insbesondere sollen „die bei der elektr[ischen]
Übertragung fehlenden Informationen des Auges [. . . ] durch ak[ustische] Überhöhungen
[wettgemacht]“
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- Hans-Peter Reinecke, Schallaufzeichnung, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel
1963, Bd. 11, Sp. 1575.
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werden. Die Grundlinien einer solchen Kompensations-Ästhetik – und hierin liegt die
Bedeutung von