- 185 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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So stellt Urbanski 1957 die elektroakustische Aufzeichnung als ein Instrument der künstlerischen Gestaltung dar. Maximen der Wiedergabe sind für ihn die „volle Ausdruckskraft des Kunstwerks“ und das Erwecken „ähnliche[r] künstlerischer Emotionen wie eine Originalaufführung“13
13
Janusz Urbanski, Künstlerische Probleme bei der Tonband-Musikaufnahme, in: Bericht 4. Tonmeistertagung Detmold 1957, S. 57.
– die naturgetreue Abbildung eines Schallereignisses spielt für Urbanski offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Auf die Möglichkeit der bewussten Gestaltung von Aufnahmen weist auch Burkowitz hin, der idealtypisch die „subjektive“ der „objektiven“ Methode der Musikaufnahme gegenüberstellt.14
14
Peter Burkowitz, Methoden der Musikaufnahme, in: Bericht 4. Tonmeistertagung Detmold 1957, S. 59–62.

Die Forderung Thienhaus‘, den problematisch gewordenen Begriff der Natürlichkeit zu klären, wird aber in den folgenden Jahren in der fachlichen Diskussion nicht eingelöst, denn ein dringenderes Thema war in den Vordergrund geraten: die Stereofonie. Sie stellte nicht nur praktische Aufgaben, sondern zeitigte auch gravierende ästhetische Folgen, über die weiter unten zu sprechen sein wird. An der Stereofonie, so scheint es, hatten sich die Tonmeister ein Jahrzehnt lang abzuarbeiten, bevor Ende der Sechzigerjahre das Thema der naturgetreuen Übertragung wieder aufgegriffen wurde. Und dazu lieferte den wohl bedeutendsten Beitrag 1969 Hans-Peter Reinecke. Reinecke stellt in seinem Beitrag Das Ideal des naturgetreuen Klangbildes – ein psychologisches Problem15

15
In: Bericht 8. Tonmeistertagung 1969, S. 85–88.
dar, wie die Schallfeldparameter das empfundene Klangbild nur unzureichend determinieren und erklärt die Differenz zwischen Konzert und elektroakustischer Wiedergabe als eine hör- und sozialpsychologische: das Klangerlebnis im Konzert sei in hohem Maß bestimmt von „Auge, Tastsinn und [der] unmittelbare[n] Rollendefinition“, während es bei Übertragungsmusik allein akustisch vermittelt werde. Daraus resultiere „ein anderes Erwartungs- und Wahrnehmungsmuster.“16
16
Ebd., S. 86f.
So begründet Reinecke, warum sich zwar mit entsprechendem Aufwand ein Schallfeld annähernd reproduzieren lässt, jedoch das Klangerlebnis prinzipiell nicht wiederherzustellen ist.

Im Bewusstsein der grundsätzlichen Differenz zwischen Live- und übertragener Musik wandelt sich das Ideal der Naturtreue zu dem „einer artifiziellen Natürlichkeit“17

17
Wilhelm Schlemm, Musikproduktion, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher, Kassel, Stuttgart u. a. 1997, Sachteil Bd. 6, Sp. 1549.
. Ziel der Klangbildgestaltung ist jetzt nicht mehr, ein bestimmtes Schallereignis zu reproduzieren, sondern beim Hörer eine dem Konzerterlebnis ähnliche Empfindung – eine Konzert-Illusion – zu erzeugen. Dazu müssen nicht Mängel der Übertragung kompensiert werden, sondern die psychologische Differenz zwischen der Musikrezeption im Konzertsaal und der elektroakustisch vermittelten. Insbesondere sollen „die bei der elektr[ischen] Übertragung fehlenden Informationen des Auges [. . . ] durch ak[ustische] Überhöhungen [wettgemacht]“18
18
Hans-Peter Reinecke, Schallaufzeichnung, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1963, Bd. 11, Sp. 1575.
werden. Die Grundlinien einer solchen Kompensations-Ästhetik – und hierin liegt die Bedeutung von

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