- 184 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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des vor dem Mikrophon produzierten Klangbildes“8
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Joachim Grunert, Das Aufgabengebiet des Tonmeisters, in: Bericht 1. Tonmeistertagung Detmold 1949, S. 9f.
gesehen. Dieser Standpunkt strebt die identische Reproduktion eines ursprünglichen Schallereignisses an und verspricht sich davon auch die Reproduktion des Konzerterlebnisses. Gestalterische Eingriffe der Klangregie haben hier allein den Zweck, die Unzulänglichkeiten der Übertragungsstrecke zu kompensieren; sobald alle technischen Probleme behoben seien, so meinte man, würden sich solche Maßnahmen erübrigen.

Eine historische Paradoxie zeigt sich also bereits in der Frühzeit der Schallübertragung. Die positivistische Position, ein vermeintlich originales Klangbild sei bei der Musikübertragung identisch zu reproduzieren, beruht auf dem Bewusstsein unvollkommener Signalübertragung. Deshalb geht diese Ansicht historisch einher mit der Schellackplatte. Sie ist allerdings bis heute anzutreffen9

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Etwa bei Johannes Webers, Tonstudiotechnik: Schallaufnahme und -wiedergabe bei Rundfunk, Fernsehen, Film und Schallplatte, München 51989, S. 163.
und ist teilweise, etwa was die Wiedergabe der Klangfarbe betrifft, in der Praxis noch immer wirksam.10
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Vgl. etwa Martin Fouqué: „Vielmehr geht es um eine möglichst klangfarbentreue Wiedergabe und Anpassung im Sinne werkgerechter Interpretation und Klanggestaltung.“ (zit. in Franz Schöler, Viel Licht und wenig Schatten, in: Klangbild 1980, H. 8, S. 16, Hervorhebung nicht original).

Der Angleichung der akustischen Signalübertragung an die menschliche Hörfähigkeit kam die Technik um 1950 ein großes Stück näher. Um diese Zeit wurde die Vinyl-Langspielplatte eingeführt, die neben einer längeren Spielzeit erheblich bessere Übertragungseigenschaften als die Schellackplatte aufwies. Ihre akustischen und musikalischen Möglichkeiten basierten vor allem auf dem neuen Material und auf der Entdeckung der Hochfrequenz(HF)-Vormagnetisierung beim Magnetband, die das Magnetband als Primärspeicher bei der Musikproduktion tauglich machte. Erreichbar war nun eine Bandbreite von 15 kHz, eine Dynamik von 50 dB und ein Klirrfaktor unter 3 %. Diese Merkmale machen verständlich, dass sich die Ansicht durchsetzte, die Technik der Musikübertragung sein nun weitgehend ausentwickelt.

Die Erfahrung einer nahezu vollkommenen Schallwiedergabe bewirkte, dass das bis dahin unangefochtene Ideal der Naturtreue ins Wanken geriet. Denn einerseits wurde deutlich, dass einer naturgetreuen Übertragung prinzipielle Hindernisse im Weg stehen, andererseits wurden spezifische Gestaltungsmöglichkeiten der Musikaufnahme offenbar. Wie problematisch der Begriff der Naturtreue damals geworden war, zeigt eine auf der Tonmeistertagung 1954 geführte Diskussion. Darin wird in Frage gestellt, ob die fehlerfreie elektroakustische Übertragung überhaupt Naturtreue gewährleisten könne, und gefordert, beim Begriff „naturgetreu“ auch das musikalische Erleben zu berücksichtigen.11

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S. Mitschrift der Diskussion zum Referat: Hans-Werner Steinhausen, Neue Probleme der Schallplattentechnik, in: Bericht 3. Tonmeistertagung Detmold 1954, S. 36.
Das Problem wird offenbar als drängend empfunden, denn in seinem Resümee dieser Tonmeistertagung fordert der Tagungsleiter Erich Thienhaus die „Klärung des Begriffes ,naturgetreue Wiedergabe‘“12
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[Erich Thienhaus], [Schlusswort des Tagungsleiters], in: Bericht 3. Tonmeistertagung Detmold 1954, S. 59.
als wichtige Aufgabe für die nächste Zusammenkunft.

Die technische Qualität der Schallübertragung nach 1950 gibt darüber hinaus den Blick frei für spezifische Gestaltungsmöglichkeiten der Musikaufnahme.


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