des vor dem Mikrophon produzierten
Klangbildes“
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- Joachim Grunert, Das Aufgabengebiet des Tonmeisters, in: Bericht 1. Tonmeistertagung
Detmold 1949, S. 9f.
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gesehen. Dieser Standpunkt strebt die identische Reproduktion eines ursprünglichen
Schallereignisses an und verspricht sich davon auch die Reproduktion des
Konzerterlebnisses. Gestalterische Eingriffe der Klangregie haben hier allein den Zweck,
die Unzulänglichkeiten der Übertragungsstrecke zu kompensieren; sobald alle
technischen Probleme behoben seien, so meinte man, würden sich solche Maßnahmen
erübrigen.
Eine historische Paradoxie zeigt sich also bereits in der Frühzeit der
Schallübertragung. Die positivistische Position, ein vermeintlich originales
Klangbild sei bei der Musikübertragung identisch zu reproduzieren, beruht
auf dem Bewusstsein unvollkommener Signalübertragung. Deshalb geht diese
Ansicht historisch einher mit der Schellackplatte. Sie ist allerdings bis heute
anzutreffen9
- Etwa bei Johannes Webers, Tonstudiotechnik: Schallaufnahme und -wiedergabe bei Rundfunk,
Fernsehen, Film und Schallplatte, München 51989, S. 163.
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und ist teilweise, etwa was die Wiedergabe der Klangfarbe betrifft, in der Praxis noch immer
wirksam.
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- Vgl. etwa Martin Fouqué: „Vielmehr geht es um eine möglichst klangfarbentreue Wiedergabe
und Anpassung im Sinne werkgerechter Interpretation und Klanggestaltung.“ (zit. in Franz
Schöler, Viel Licht und wenig Schatten, in: Klangbild 1980, H. 8, S. 16, Hervorhebung nicht
original).
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Der Angleichung der akustischen Signalübertragung an die menschliche Hörfähigkeit
kam die Technik um 1950 ein großes Stück näher. Um diese Zeit wurde die
Vinyl-Langspielplatte eingeführt, die neben einer längeren Spielzeit erheblich bessere
Übertragungseigenschaften als die Schellackplatte aufwies. Ihre akustischen und
musikalischen Möglichkeiten basierten vor allem auf dem neuen Material und auf der
Entdeckung der Hochfrequenz(HF)-Vormagnetisierung beim Magnetband, die das
Magnetband als Primärspeicher bei der Musikproduktion tauglich machte.
Erreichbar war nun eine Bandbreite von 15 kHz, eine Dynamik von 50 dB und
ein Klirrfaktor unter 3 %. Diese Merkmale machen verständlich, dass sich die
Ansicht durchsetzte, die Technik der Musikübertragung sein nun weitgehend
ausentwickelt.
Die Erfahrung einer nahezu vollkommenen Schallwiedergabe bewirkte, dass das bis
dahin unangefochtene Ideal der Naturtreue ins Wanken geriet. Denn einerseits wurde
deutlich, dass einer naturgetreuen Übertragung prinzipielle Hindernisse im Weg stehen,
andererseits wurden spezifische Gestaltungsmöglichkeiten der Musikaufnahme offenbar.
Wie problematisch der Begriff der Naturtreue damals geworden war, zeigt eine auf der
Tonmeistertagung 1954 geführte Diskussion. Darin wird in Frage gestellt, ob die
fehlerfreie elektroakustische Übertragung überhaupt Naturtreue gewährleisten könne,
und gefordert, beim Begriff „naturgetreu“ auch das musikalische Erleben zu
berücksichtigen.11
- S. Mitschrift der Diskussion zum Referat: Hans-Werner Steinhausen, Neue Probleme der
Schallplattentechnik, in: Bericht 3. Tonmeistertagung Detmold 1954, S. 36.
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Das Problem wird offenbar als drängend empfunden, denn in seinem Resümee dieser
Tonmeistertagung fordert der Tagungsleiter Erich Thienhaus die „Klärung des Begriffes ,naturgetreue
Wiedergabe‘“
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- [Erich Thienhaus], [Schlusswort des Tagungsleiters], in: Bericht 3. Tonmeistertagung Detmold
1954, S. 59.
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als wichtige Aufgabe für die nächste Zusammenkunft.
Die technische Qualität der Schallübertragung nach 1950 gibt darüber hinaus den
Blick frei für spezifische Gestaltungsmöglichkeiten der Musikaufnahme.